CT-Termin für Holzskulptur
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Röntgenuntersuchung soll das Alter von historischer Stiftsdame entschlüsseln
Die Patientin ist wohl mehr als 700 Jahre alt. Die historische Holzskulptur liegt auf der schmalen Liege vor dem Computertomografen (CT). Ihr Name, "Helmburgis", leuchtet auf der digitalen Anzeige über ihr. "Schön ist, dass sie nicht atmet und daher auch nicht wackelt", sagt der hannoversche Arzt Marc Ewig scherzend. "Helmburgis" stammt aus dem Damenstift Fischbeck bei Hameln.
Mit der ungewöhnlichen Untersuchung will die Klosterkammer Hannover nun das genaue Alter der Skulptur entschlüsseln.
Rote Laser-Linien zeichnen sich auf dem hölzernen Brustkorb ab und helfen dem Radiologen Ewig dabei, die Figur genau zu positionieren. Normalerweise kommen Tumorpatienten oder Menschen mit Knochenbrüchen zu ihm. "Ich finde es interessant, mit der ganzen Technik, mit der man sonst lebendige Menschen untersucht, auch mal Dinge zu untersuchen, die nicht alltäglich sind", sagt er. Unter anderem hat Ewig schon den Motor eines Autos oder den Schädel eines Dinosauriers geröntgt. In einer Jesus-Figur habe er beispielsweise auch schon Reliquien entdeckt.
Die Fischbecker Holzskulptur stellt Kurator Jens Reiche zufolge vermutlich die adelige Frau dar, die das Damenstift bei Hameln im Jahr 955 gründete. Ihr Abbild sei schätzungsweise um das Jahr 1300 geschaffen worden.
"Was niedersächsische Skulpturen zu der Zeit angeht, ist es schon ein Spitzenstück." Eine Art Sarg, in dem die Figur Anfang des 20. Jahrhunderts wieder entdeckt wurde, lasse darauf schließen, dass Helmburgis zwischenzeitlich "wie eine Heilige" verehrt und nur zu bestimmten Anlässen hervorgeholt wurde, sagt Reiche.
Nach dem CT-Scan soll die Skulptur in den kommenden Wochen in der Werkstatt der Klosterkammer restauriert und konserviert werden. Dort hat zuvor Restauratorin Christiane Adolf die Oberfläche gereinigt und mit weichen Schwämmen abgetupft.
Damit durch den Transport keine weitere Farbe abblättert, hat sie empfindliche Stellen mit einem dünnen Papier und Leim versiegelt. Schließlich wurde die 50 Kilogramm schwere, historische Patientin in eine mit Schaumstoff ausgefüllte Holzkiste gelegt und zur Arztpraxis gefahren.
Die Äbtissin des Stifts Fischbecks, Katrin Woitack, ist ebenfalls bei der Untersuchung dabei. Es sei faszinierend, die Figur, die normalerweise in mehr als drei Metern Höhe auf einem Sockel im Chorraum der Stiftskirche stehe, so nah zu sehen.
"Sie hat so viel Ausstrahlung und ihr Gesicht ist so intensiv und lebendig", schwärmt Woitack und deutet dabei auf die sanft lächelnde Frauenfigur. Bei der morgendlichen Mette würden die acht Stiftsdamen ihren Anblick allerdings sehr vermissen. "Sie ist der Kernpunkt unseres Stiftes."
In der Praxis verfolgt das Restauratoren-Team vom Nebenzimmer aus, wie die 1,56 Meter hohe Skulptur per Knopfdruck durch die Röntgenröhre geschoben wird. Auf den Computerbildschirmen ist schon nach wenigen Sekunden das Röntgenbild der Figur mit ihrem langen, in falten geworfenen Gewand zu erkennen.
Auf weiteren Bildern erscheint das, woran die Restauratoren besonders interessiert sind: Der Querschnitt mit den filigranen Jahresringen der Eichenholzskulptur. Ein Experte in Hamburg, ein sogenannter Dendrochronologe, wird in den kommenden Wochen diese Ringe und ihre Breite und Abfolge analysieren, um mit Hilfe von Standardwerten das Datum zu bestimmen, an dem der Baum gefällt wurde.
Radiologe Ewig dreht die dreidimensionale Abbildung am PC-Bildschirm mehrmals hin und her. Mindestens 50 Jahresringe müssen in dem Querschnitt zu sehen sein, um das genaue Alter zu bestimmen. Das Experten-Team zeigt sich schließlich erleichtert. Die Anzahl reicht aus. Mediziner Ewig gibt das abschließende Signal: "Die Patientin kann vom Tisch."
Charlotte Morgenthal (epd)