Straßenmagazin „Asphalt“ feiert 30. Geburtstag

Seit 30 Jahren hilft das Straßenmagazin „Asphalt“ Menschen, sich durch den Verkauf zu stabilisieren und Geld dazuzuverdienen. Ha-Jo ist von Anfang an dabei, seit 23 Jahren ist er fester Verkäufer.
ein Mann in roter Weste verkauft einem Passanten eine Zeitung.
Bild: epd-bild/Jonathan Haase

Geschäftig laufen Passanten durch die Fußgänger-Zone der hannoverschen Einkaufsstraße Lister Meile – vorbei an Bäcker, Buchhandlung und Apotheke. Einige grüßen, manche bleiben auf einen Plausch stehen und kaufen bei Hans-Joachim, Ha-Jo genannt, eine Zeitung: das Straßenmagazin „Asphalt“. Das niedersächsische Magazin feiert dieses Jahr sein 30-jähriges Bestehen. Ha-Jo war erst als Ehrenamtlicher dabei, seit 23 Jahren verkauft er nun durchgängig.

Ha-Jo – er möchte seinen Nachnamen für sich behalten – gefällt seine Arbeit, er sieht sie „als Berufung“. Er mag es, mit vielen Menschen ins Gespräch zu kommen und „über Gott und die Welt“ zu reden. „Manchmal denke ich, hätte ich nicht im Elektrohandwerk gelernt, wäre ich vielleicht Streetworker geworden. Das wäre auch cool.“ Seinen ursprünglichen Beruf musste er wegen einer Epilepsie aufgeben. Der Verkauf von „Asphalt“ hilft ihm dabei, seine Erwerbsminderungsrente aufzubessern. Vom Verkaufserlös von derzeit 2,20 Euro pro Stück darf er die Hälfte behalten. „Es ist für mich ein Selbstwertgefühl: Ich kann ja noch.“

Gegründet wurde „Asphalt“ 1994 von HIOB, der Hannoverschen Initiative obdachloser Bürger, und dem Diakonischen Werk. Das Magazin reiht sich in die Gründung von Straßenzeitungen der späten 1980er- und frühen 1990er-Jahre ein. Vorbild waren das Hamburger Magazin „Hinz&Kunzt“ sowie Zeitungen aus München, Köln und England. Menschen aus der hannoverschen Wohnungslosen-Szene wollten ein solches Magazin nun auch für ihre Stadt.

Denn rund um den Hauptbahnhof gab es „Verelendung pur“, erzählt Redaktionsleiter Volker Macke: viel Armut, eine große Drogenszene und rund 9.000 Wohnungslose. „Es war nötig, darüber zu informieren und Menschen die Möglichkeit zu geben, Geld zu verdienen, sichtbar zu werden und im wahrsten Sinne des Wortes aufzustehen.“ Maßgeblich an der Gründung beteiligt waren unter anderem die ehemals obdachlose Karin Powser, die einen direkten Draht in die Szene hatte, HIOB-Gründer Rolf Höpfner und Diakoniepastor Walter Lampe. „Authentizität und Know-How trafen aufeinander, das führte zum Erfolg“, sagt Macke.

Eine Frau gestaltet ein Magazin. Neben ihr sitzt ein Mann und schaut auf das Ergebnis.
Bild: epd-bild/Jonathan Haase
Redaktionsleiter Volker Macke (rechts) und Grafikerin Maren Tewes (links) in der „Asphalt“-Redaktion" in Hannover
„Mit Asphalt retten sich die Menschen aus ihrem eigenen Sumpf“
„Asphalt“-Redaktionsleiter Volker Macke

Den Verkäufer Ha-Jo erkennt man schon von weitem an seinem schwarzen Filzhut. Er hat ihn von einer Kundin geschenkt bekommen. „Den finde ich am besten, weil er schön verwegen aussieht.“ Der 57-Jährige hat lange braune Haare zum Zopf gebunden, trägt ein Karo-Hemd, Dreiviertelhose, Barfußschuhe und die rote Asphalt-Weste. Um den Hals hängt eine Kette mit einem Christenfisch als Anhänger. Die Kette habe er selbst gemacht, erzählt Ha-Jo, der selbst nicht obdachlos ist. Der Glaube gebe ihm Halt, auch in schweren Zeiten.

Mit 25 hatte er wegen seiner damals noch nicht diagnostizierten Epilepsie eine solche schwere Zeit. Eine für ihn religiöse Erscheinung habe ihm Mut gegeben, nicht aufzugeben, erzählt Ha-Jo. Er fand zum christlichen Glauben und begann, sich ehrenamtlich bei HIOB zu engagieren. So bekam er die Anfänge von „Asphalt“ hautnah mit, plakatierte Werbung für die erste Ausgabe, half beim Verkauf.

In einem Hinterhof-Gebäude in der Oststadt laufen die Fäden zusammen. Hier gibt es soziale Betreuung und Beratung für die Verkäuferinnen und Verkäufer, und hier entsteht das Monatsmagazin, an dem vier Redakteurinnen und Redakteure arbeiten. Das Magazin bringe auch Mainstream-Themen, erläutert Macke, der auch Sprecher des Internationalen Netzwerks der Straßenzeitungen ist. Kernkompetenz sei es aber, über und aus der Szene wohnungsloser und armutsbetroffener Menschen zu berichten. „Mit Asphalt retten sich die Menschen aus ihrem eigenen Sumpf.“

Cover eines Magazins haengen gerahmt an einer Wand
Bild: epd-bild/Jonathan Haase
Cover der verschiedenen „Asphalt“-Editionen in der „Asphalt“-Redaktion in Hannover

Heute erscheint das Magazin mit einer Auflage von rund 26.000 Exemplaren an rund 16 Orten in Niedersachsen in drei Editionen: Hannover, Nordwest und Süd. Die Entwicklung der letzten 30 Jahre sei eine von „Aufbau, Ruhm, Ehre und Wertschätzung“, erzählt Macke, der seit 20 Jahren in der „Asphalt“-Redaktion arbeitet. Verkäuferinnen und Verkäufer, Kundinnen und Kunden und Spenderinnen und Spender seien wie eine Familie. Rund 3.600 Menschen habe die Arbeit bislang retten können. Aktuell sind es 240. Jeder verkauft an einem festen Platz.

Zurück in der Fußgängerzone. Die Sonne scheint an diesem warmen Tag, aber Ha-Jo hat ein schattiges Plätzchen, gegenüber einer Buchhandlung. Neben ihm: sein dreibeiniges Hocker-Konstrukt. Darauf stehen Exemplare der aktuellen Asphalt-Ausgabe. „Ich könnte nicht die Hand aufhalten und für lau um Geld bitten.“

Cover eines Magazins haengen gerahmt an einer Wand
Bild: epd-bild/Jonathan Haase
Cover der verschiedenen „Asphalt“-Editionen in der „Asphalt“-Redaktion in Hannover

Keine Almosen: Ha-Jo verkauft die Straßenzeitung „Asphalt“

Ha-Jo verschränkt die Hände hinter dem Rücken, wartet ab. Die meisten Menschen bringen ihm Achtung entgegen, weil er zurückhaltend verkaufe, erzählt er. Das bestätigt auch Stammkunde Peter Ißberner. Der 79-Jährige war beim Bäcker und kommt danach bei Ha-Jo vorbei. „Ich kaufe nur bei ihm. Er ist ein ruhiger Vertreter und unaufdringlich.“

Manchmal gebe es auch Anfeindung auf der Straße, erzählt Ha-Jo. In über zwei Jahrzehnten habe er schon einiges erlebt. „Ich habe mir einen dicken Pelz wachsen lassen und bete, dass ich die Kraft habe, sowas auszuhalten.“ Volker Macke erzählt, dass viele sich eine Stammkundschaft aufgebaut hätten und von umliegenden Geschäften geschützt würden. Doch es gebe auch Leute, die offen Verachtung äußerten. „Ich glaube, dass die Gesellschaft ein bisschen verroht. Deswegen haben es “Asphalt„-Verkäuferinnen und Verkäufer nicht immer leicht an ihren Plätzen.“

Sonja Scheller