Inga Thom ist Mitarbeiterin der Seemannsmission Cuxhaven. Bei ihren Borddiensten besucht sie Seeleute auf den Schiffen im Hafen. Wie gelingt es ihr, einen Draht zu der Crew zu bekommen?
Cuxhaven. Im Aufenthaltsraum der Corelli, einem Chemie-Tanker im Cuxhavener Hafen, ist es warm an diesem Sommertag. Ein Meldesignal piept zehnmal hintereinander, der Motor dröhnt. Der Duft von Zimt und Rosinen liegt in der Luft. Schiffskoch Frederic Macauba hat Zimtschnecken gebacken. „Der Koch ist immer wichtig“, sagt Inga Thom von der Seemannsmission Cuxhaven, „when the food is not good, the mood is not good“ - wenn das Essen nicht gut ist, ist die Laune nicht gut. Macauba lacht, gemeinsam sitzen sie im Aufenthaltsraum, der sogenannten Messe.
Seit drei Jahren ist Thom eine von zwei Hauptamtlichen der Cuxhavener Seemannsmission. Rund zehn Ehrenamtliche und ein Bundesfreiwilliger gehören auch zum Team. Die 41-Jährige besucht Seeleute an Bord, hört sich kleine Wünsche und große Sorgen an. Häufig trifft sie auf Menschen aus den Philippinen oder Osteuropa. Die Kommunikation auf Englisch gelingt, Thom hat sich in die verschiedenen Akzente „reingehört“, sie versteht die Seeleute. An Bord duzt man sich.
Heimweh an Deck
Nun wendet sie sich Macauba zu, der seit fünf Monaten auf See ist, getrennt von Frau und Tochter. Den Tag, an dem es zurück nach Manila geht, hat er im Gemeinschaftskalender markiert: Es ist der 23. August. Die Sehnsucht und das Vermissen seien morgens und abends am größten: morgens, wenn er ohne Familie aufwacht, abends, wenn er allein in seine Kabine kommt. „Tagsüber lenkt mich die Arbeit ab“, erklärt er.
Den Kontakt mit der Familie können die Seeleute nur per Internet halten, aber häufig ist das Datenvolumen begrenzt. Thom hat am Vortag einen Internet-Router an Bord der Corelli gebracht, eine Leihgabe der Seemannsmission während der Liegezeit im Hafen. Nun können Frederic Macauba und die anderen Seemänner unbegrenzt mit den Liebsten videotelefonieren, sich also nicht nur hören, sondern auch sehen.
Sich um diese und andere Belange der Seeleute zu kümmern, ist Aufgabe der Deutschen Seemannsmission. Sie wurde 1886 als Verband gegründet und ist als selbstständige diakonische Einrichtung Teil der evangelischen Kirchen in Deutschland. Die rund 600 Mitarbeitenden weltweit sind ansprechbar, bringen den Seeleuten SIM-Karten, wechseln Geld oder holen sie ab für einen geselligen Abend in den Seemannsclub. Cuxhaven ist einer von 33 Standorten in Deutschland und 15 weiteren Ländern.
Für Inga Thom geht es auf zum nächsten Schiff. Bei angenehmen 20 Grad und Sonnenschein steigt sie mit schweren Sicherheitsschuhen über die Gangway, die Zugangsbrücke, an Bord der BBC Coral. Der Weg über die Brücke aus Stahl und Seilen ist für sie mittlerweile Gewohnheit. Thom trägt einen gelben Helm, eine neongelbe Warmweste, T-Shirt, Jeans, die braunen Haare hat sie zum Pferdeschwanz zurückgebunden. „Es ist etwas anderes als ein klassischer Büro-Job. Hafen ist keine Modenschau“, sagt die gebürtige Schleswig-Holsteinerin und Politologin.
An Bord des Frachtschiffs empfängt sie der junge Kadett Igor Svitkin, sie schütteln die Hände. „Good morning.“ Thom ist heute zum dritten Mal da. Man kennt sich. Igor hält ihr das Registrierungsbuch hin - Vorschrift. Von Offizier Nicolai Cernev aus der Republik Moldau gibt es eine kleine Führung. Sie klettern auf das Peildeck, das oberste Deck des Schiffes. Die Leiter ist senkrecht, klobige Stiefel treffen schmale Sprossen. Konzentration ist gefragt. „Das ist wie im Fitnessstudio“, sagt Thom.
Oben angekommen, schauen sie auf den Hafen. Massive Windrad-Flügel - die Fracht der Corelli - liegen nebenan auf dem Kai, ein Teil ist noch auf dem Schiff. In der Ferne kreischen Möwen. Das Weiß des Decks blendet. „Thank you for the tour“, sagt Thom zu Cernev. Sie ist höflich, unaufdringlich und umsichtig. Das sei ihr wichtig, denn sie sei Gast an Bord und betrete Arbeitsplatz und Privatsphäre der Seeleute.
Geburtstag auf hoher See
Nicolai Cernev hat eine Frage: Ob man im Seemannsclub auch Geburtstage der Seemänner feiern könne? „Klar, solange ich keinen Kuchen backen muss. Ich bin nämlich keine gute Hausfrau“, sagt Thom lachend. „Ich kann weder kochen noch backen.“ Auch Cernev lacht. Er hat wegen Igor gefragt, des jungen Kadetten von der Gangway. Der hatte nämlich vor zwei Tagen Geburtstag.
Den Geburtstag weit weg von der Familie am anderen Ende der Welt zu verbringen, ist für viele Seeleute Gewohnheit und häufig ein normaler Arbeitstag. Rund 1,8 Millionen von ihnen sind weltweit auf 74.000 Handelsschiffen unterwegs, meist viele Monate am Stück. Durch ihre Arbeit hat Thom es noch stärker schätzen gelernt, ein „Landmensch“ zu sein, wie sie erzählt. „Wir können nach Feierabend etwas mit Freunden unternehmen oder am Wochenende die Familie besuchen. Das können Seeleute nicht.“
Nach einem Besuch im Schiffsinneren schiebt Thom die schwere Schiffstür auf und tritt hinaus aufs Deck zurück zum Gangway-Bereich. Sie hat ein Geschenk dabei, eingepackt in buntem Papier, das sie dem Geburtstagskind Igor jetzt nachträglich überreicht. Der 19-Jährige wickelt es aus und strahlt, als er die Kopfhörer erkennt.
Im vergangenen Jahr haben die Mitarbeitenden der Cuxhavener Seemannsmission rund 1.700 Bordbesuche unternommen und hatten rund 4.900 Begegnungen mit Seeleuten an Bord. Viele davon durch Inga Thom, die jetzt in der Messe mit Ivan Koval spricht. Der 29-Jährige fährt seit zwölf Jahren zur See, er ist der zweite Offizier an Bord der BBC Coral.
Seefahrer zu sein, sei mehr als ein Job, es sei „die Hälfte des Lebens“, sagt der Mann aus Omsk, Russland. Er holt eine Tasse und stellt sie an den Rand des Tisches. „So würden wir Seefahrer das nie machen, wir stellen sie in die Mitte.“
Ob er etwas braucht, will Thom wissen. Koval verneint. Und während eine Klimaanlage rauscht und die warme Luft abkühlt, beginnt er mitten im Sommer vom Tannenbaum zu erzählen, den die Mitarbeitenden der Seemannsmission Rostock zu Weihnachten an Bord gebracht hatten. Seine Augen strahlen. Er reibt die Finger vor der Nase: „Das hat so toll gerochen.“ „Wow, ein echter Baum“, sagt Thom. „Ja, der Geruch hat sich im ganzen Schiff ausgebreitet“, erinnert sich Koval auch noch sieben Monate später.
Menschen aus verschiedenen Kulturen zu begegnen, macht für Thom einen besonderen Reiz ihrer Arbeit aus. „Ich hätte diese Menschen sonst nie getroffen“, sagt sie. „Das hier ist der internationalste Job in Cuxhaven.“