Mehr Freiheit, weniger Belastung

Die Landessynode berät in ihrer IX. Tagung über eine Reform der Körperschaften

Wie können sich Kirchengemeinden vor allem von Verwaltungsarbeiten befreien? Wäre eine Verringerung der öffentlich-rechtlichen Körperschaften eine Lösung? Im Interview geben Rainer Mainusch, Juristischer Vizepräsident, und Fabian Spier, Leiter der Finanzabteilung, einen Einblick in die Pläne.

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Worum geht es? Und warum das Ganze?

Rainer Mainusch: Die Landessynode hat im Frühling 2022 den Prüfauftrag erteilt, ob die Zahl der rechtlich selbständigen kirchlichen Rechtsträger verringert werden kann, ohne dass die Eigenständigkeit einer Kirchengemeinde verloren geht. Im Klartext heißt das: Wir haben geprüft, wie wir den hohen Verwaltungsaufwand, der für die Kirchengemeinden im Laufe der Jahre enorm gewachsen ist, reduzieren und die Autonomie der Gemeinden stärken können.

Fabian Spier: Wir reden hier vor allem über den Verwaltungsaufwand, der an der Rechtsform jeder Kirchengemeinde als Körperschaft des öffentlichen Rechts hängt, also Jahresabschlüsse, die Rechnungsprüfung und alles andere. Das ist inzwischen eher eine Belastung, als dass die rechtliche Sicherheit im Fokus stünde. Die bisherige Kleinstaaterei führt bei den ja gewünschten Kooperationen zwischen Kirchengemeinden oft eher zu Mehrarbeit, als Gemeinsamkeiten zu fördern.

Mainusch: Wir beobachten diese Entwicklung zu mehr Verwaltungsaufwand seit Mitte der 1990-er Jahre mit dem Beginn des spürbaren Mitgliederschwundes. Kirchengemeinden arbeiten heute zwar enger und besser zusammen, und wir haben dafür auch neue Formen entwickelt, die wir 2016 im Regionalgesetz zusammengefasst haben. Das Problem des Verwaltungsaufwandes, der auf staatlichen Vorgaben beruht, haben wir bislang aber nicht wirklich lösen können.

Schaffen wir damit die Kirchengemeinden ab?

Mainusch: Ganz und gar nicht. Aber wir müssen uns ernsthaft fragen, ob das rechtliche Kleid als Körperschaft des öffentlichen Rechts, das sich im 19. Jahrhundert entwickelt hat, die inhaltliche Arbeit von Kirchengemeinden heute noch wirklich schützt oder es ihre Selbständigkeit durch den damit verbundenen Verwaltungsaufwand nicht eher einschränkt.

Spier: Die Freiburger Studie sagt ja sehr klar: Die Mitgliederzahlen und damit die Einnahmen gehen zurück. Zugleich steigen die Aufgaben. Wenn alles so bleibt, wie es ist, heißt dies für alle: sparen, sparen, sparen. Die Strukturreform, um die es jetzt geht, könnte den Kirchengemeinden mehr Freiheit und eine höhere Flexibilität geben, um ihre gemeindliche Arbeit zu stärken. Dafür würden aber insbesondere Verwaltungsaufgaben auf eine gemeinsame Handlungsebene verlagert werden.

Was heißt das konkret?

Mainusch: Gegenwärtig ist jede Kirchengemeinde eine eigene Körperschaft öffentlichen Rechts. Dies heißt vor allem: Sie hat Eigentum, sie schließt Verträge und sie gestaltet einen eigenen Haushalt. Das sind Aufgaben, die sich aus ihrer Stellung im staatlichen Recht ergeben. Diese Aufgaben kann aber möglicherweise genauso gut die darüber liegende Ebene, also der Kirchenkreis, für eine Kirchengemeinde mit erledigen. Die Kirchengemeinde könnte sich auf die Aufgaben konzentrieren, die sich aus ihrer Stellung im kirchlichen Recht ergeben: Sie bestimmt weiterhin über das kirchliche Leben vor Ort, über die Gottesdienstordnung, die Besetzung der Pfarrstelle und die Beteiligung an der Leitung der Kirche durch die Besetzung der Synoden auf der Ebene des Kirchenkreises und der Landeskirche.

Spier: Wir haben in der Arbeitsgruppe, die das jetzt vorgelegte Aktenstück 89 erarbeitet hat, immer wieder in den Fokus genommen, dass die Bindung aller in einer Kirchengemeinde Tätigen - ob beruflich oder ehrenamtlich - unbedingt erhalten bleiben muss. Die Strukturreform soll ihnen neue Räume eröffnen, sich auf das zu konzentrieren, was vor Ort wichtig ist.

Welche Modelle schlagen Sie vor?

Mainusch: Es gibt zwei Modelle: Da ist zum einen die "Gesamtkirchengemeinde plus" - sie eignet sich vor allem für große Kirchenkreise, in denen es bereits Regionen gibt. Die beteiligten Kirchengemeinden schließen sich zu einer Gesamtkirchengemeinde zusammen und bilden nach den Regelungen des Regionalgesetzes einen Gesamtkirchenvorstand. Nur diese Gesamtkirchengemeinde wäre Körperschaft öffentlichen Rechts und würde für alle beteiligten Kirchengemeinden über den Haushalt, Arbeitsverträge mit Mitarbeitenden und andere Verträge entscheiden, und sie wäre – anders als bei den bisherigen Gesamtkirchengemeinden - Eigentümerin aller Gebäude und Grundstücke der beteiligten Kirchengemeinden. Bei diesem Modell könnte es in einem Kirchenkreis neben solchen „Gesamtkirchengemeinden plus“ Kirchengemeinden geben, die als Körperschaft öffentlichen Rechts bestehen bleiben.

Das zweite Modell ist die komplette Vereinigung von Kirchengemeinden und Kirchenkreis - dies ist eher im städtischen Raum oder für kleinere Kirchenkreise ein gangbares Modell. Hier übergeben alle Kirchengemeinden eines Kirchenkreises die beschriebenen Aufgabenfelder in die Verantwortung des Kirchenkreises und bleiben als Körperschaft des kirchlichen Rechts mit den genannten Aufgabenfeldern bestehen.

Welche Vor- und welche Nachteile sehen Sie?

Spier: Über die Vorteile haben wir ja schon ausführlich gesprochen. Wir haben in dem Aktenstück aber auch die möglichen Nachteile betrachtet: Dies könnte auf den ersten Blick beispielsweise der Wegfall eines eigenen Haushaltes sein. Doch hier können wir gut nachsteuern: Zum einen durch gezielte Etatzuweisungen, über die die Kirchengemeinden dann verfügen können und Budgetregelungen. Daraus können die Gemeinden dann weiterhin z.B. Reparaturen an örtliche Betriebe vergeben oder ihre Gemeindearbeit gestalten. Und, sehr wichtig: Erträge, die eine Gemeinde erwirtschaftet oder einwirbt, sollen nach Möglichkeit bei der Gemeinde verbleiben. Das gilt auch für Erbschaften. Auch die Auswahl der Pächter bei der Verpachtung des kirchlichen Grundbesitzes könnte bei den Gemeinden verbleiben. Auch wenn der Kirchenkreis den Pachtvertrag unterschreibt.

Mainusch: Wichtig ist: Das Finanzausgleichsgesetz, nach dem die Kirchenkreise die Zuwendungen der Landeskirche an ihre Gemeinden vergeben, ist von einer Reform der Körperschaften nicht berührt.

Gibt es auch Risiken?

Mainusch: Wir haben uns mit der Arbeitsgruppe, zu der aus dem Bischofsrat Petra Bahr und Hans-Christian Brandy, aus dem Planungsausschuss der Landessynode Fritz Hasselhorn, für den Rechtsausschuss Antje Niewisch-Lennatz sowie für die Superintendent*innen Rainer Müller-Brandes und Stephan Wichert-von Holten gehören, einige Modelle in der Badischen Landeskirche angesehen. Die kennen solche Organisationsformen schon lange. Für uns ist wichtig: Erprobungen müssen rückholbar sein. Wir haben diese Möglichkeit daher auch in unseren Vorschlag eingearbeitet.

Spier: Grundlage für den Erfolg beider Modelle ist jedoch das Vertrauen aller Beteiligter ineinander, dass alle Bedürfnisse weiterhin gesehen werden.

Wie geht es nun weiter?

Mainusch: Sollte die Landessynode dem Beschlussvorschlag des Aktenstückes zustimmen, wird es einen eigenen Ausschuss für dieses Thema geben, an dem alle Leitungsorgane der Landeskirche beteiligt sind: die Landessynode und der Landessynodalausschuss, der Landesbischof, der Bischofsrat sowie das Landeskirchenamt. Die Landessynode könnte dann im Herbst 2024 über die Erprobungsregelung beschließen. Um die Beteiligung der Kirchengemeinden sicherzustellen, planen wir gerade eine zweitätige Tagung der Akademie Loccum für den 17. und 18. Mai 2024. Dazu wollen wir aus jedem Kirchenkreis jeweils zwei Personen einladen, die ausdrücklich auf gemeindlicher Ebene Verantwortung tragen.

Spier: Zeitgleich werden Rainer Mainusch und ich die Modelle in den Kirchenkreissynoden der Kirchenkreise vorstellen, die sich für eine Erprobung interessieren, die in der Regel auf fünf Jahre ausgelegt ist. Die Kirchenkreise Bramsche und Walsrode haben mit uns schon diskutiert, und zwei weitere Kirchenkreise haben Interesse bekundet. Es können aber auch weitere Kirchenkreise sich noch melden.

Mainusch: In jedem Fall müssen die Kirchengemeinden einem Vorschlag des Kirchenkreises zustimmen, bevor die Kirchenkreissynode über eine Teilnahme beschließen kann. Start für die Erprobung könnte dann Anfang 2025 sein.

Rebekka Neander/EMA