Jeden Morgen um 10 Uhr macht Amadou Njikam sich auf zu den Frachtschiffen im größten Hafen von Kamerun, dem Hafen von Douala. Seit 15 Jahren besucht der 43-Jährige regelmäßig die Schiffscrews. Er arbeitet bei der in Bremen ansässigen Deutschen Seemannsmission, die insgesamt 32 Stationen im In- und Ausland betreibt, so auch in Douala. Heute erklimmt Njikam die schmale Metalltreppe eines Frachtschiffes, auf das gerade riesige Baumstämme verladen werden - tropische Hölzer machen zehn Prozent des Exports des Landes aus.
Auf der Gangway trägt Njikam sich in die Besucherliste ein, dann führt ein Matrose im blauen Arbeitsanzug ihn über Treppen im Inneren des Schiffs zum Kapitän. Seit einer Woche lägen sie im Hafen von Douala, erzählt der Kapitän. Eine weitere Woche blieben sie noch. Die Mitglieder der Crew kämen aus Vietnam, China und Myanmar.
Große Reedereien suchten weltweit nach den günstigsten Arbeitskräften, erklärt Michael Ludwig, der vertretungsweise die Seemannsmission in Douala leitet. In Teilen hätten sich die Bedingungen für die Seeleute in den vergangenen Jahren zwar verbessert, zum Beispiel gebe es auf den Schiffen deutscher Reedereien mittlerweile Einzelzimmer und Internet. Aber für den Großteil der knapp zwei Millionen Seeleute weltweit seien die Bedingungen immer noch harsch, sagt Ludwig, der in Douala, in der togoischen Hauptstadt Lomé, in Rotterdam und Le Havre mit Seeleuten gearbeitet hat.
Nach Angaben der Gewerkschaft ver.di werden die physischen und psychischen Belastungen, denen die Seeleute ausgesetzt sind, durch die oft fehlende Kommunikation mit Angehörigen und Freunden während der monatelangen Zeit auf See verschärft. Dazu kämen extreme Arbeitszeiten und zum Teil Verzögerungen oder Ausfälle bei der Lohnzahlung. Auch deutsche Reedereien würden geltende Standards umgehen, indem sie ihre Flotten anderswo registrierten.
Seit fünf Monaten seien sie unterwegs, erzählt der Kapitän aus Vietnam in seinem Büro mit Blick auf den Hafen von Douala. Seit zehn Jahren fährt er zur See. „Ist die Stadt groß?“, fragt er. Amadou Njikam erzählt von der Millionenmetropole. Und von der Arbeit der Seemannsmission: „Wenn ihr mit irgendwas Hilfe braucht, könnt ihr euch bei uns melden“, sagt Njikam und gibt dem Kapitän einen Flyer. Darauf stehen die Telefonnummer - und die Information, dass es im Seemannsheim einen Pool gibt, einen Billardtisch und ein Restaurant. Eine chinesische Zeitung kann Amadou Njikam noch dalassen.
Corona-Beschränkungen verhindern immer noch Vieles
Aber Pool, Billardtisch und Restaurant können die Seeleute nicht nutzen: Sie dürfen seit Beginn der Corona-Pandemie den Hafen in Douala nicht verlassen, auch wenn alle anderen Einschränkungen im Land mittlerweile aufgehoben wurden. Vorher hatte die Seemannsmission jeden Abend einen Shuttle-Service organisiert, raus aus dem Hafen, zum Seemannsheim. Dort hatten die Seeleute Abwechslung, bei einem Bier am Pool konnte man ins Gespräch kommen.
Seit 1886 kümmert sich die Deutsche Seemannsmission als evangelische Seelsorge- und Sozialeinrichtung weltweit um Seeleute, unterstützt mit Gesprächen an Bord und macht Angebote an Land. Inspiriert war sie von der englischen Seemannsmission, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Seeleuten in Häfen sichere Anlaufpunkte zu verschaffen: Seemannsheime, in denen sie günstig und sicher unterkommen können, ohne Gefahr zu laufen, ausgeraubt und abgezogen zu werden. Mehr als 30 Stationen hat die Deutsche Seemannsmission bis heute im In- und Ausland, die Zentrale ist in Hamburg. Rund 12.000 deutsche Seeleute gibt es aktuell noch, schätzt Michael Ludwig.
Auch Fahrdienste zu Kirchen oder Moscheen oder Hilfe bei Geld-Überweisungen an die Familie bietet die Seemannsmission weltweit an. „Wir sind für Leute aller Nationen, aller Religionen da“, sagt Amadou Njikam.
Die Zimmer im Seemannsheim in Douala werden jetzt an andere Gäste vermietet, das Restaurant ist abends gut besucht. Aber: „Uns fehlen die Seeleute“, erklärt Njikam. An Weihnachten waren er und das Team auf den Schiffen unterwegs, Geschenke verteilen. Sie können für die Seeleute SIM-Karten besorgen - oder kleine Andenken.
Die Arbeit der Seemannsmission verändert sich. Containerschiffe liegen oft nur für eine kurze Zeit in den Häfen, auf den Schiffen werden die Crews kleiner. Dadurch muss die Besatzung länger arbeiten und hat weniger Zeit, an Land zu gehen - auch da nicht, wo es möglich ist. Trotz knapper Mittel der Seemannsmission bleibt die Aufgabe: Aufmerksamkeit schaffen für die Arbeitsbedingungen derer, ohne die das globalisierte Wirtschaftssystem nicht möglich wäre. 80 Prozent des weltweiten Handelsvolumens werden nach Angaben der Vereinten Nationen auf Schiffen transportiert.
Regelmäßig fragt die Seemannsmission bei den kamerunischen Behörden nach, wann die Seeleute endlich wieder den Hafen verlassen dürfen. Beim Hafenkommandanten waren sie schon, auf einen Termin mit dem Direktor warten sie noch. „Seeleute werden oft vergessen“, sagt Michael Ludwig. Deswegen will die Seemannsmission Fürsprecherin sein: für bessere Bedingungen und mehr Respekt.