Was macht Jürgen Rieß, wenn er für ein halbes Jahrhundert Predigtdienst als Lektor und Prädikant im Kirchenkreis Ronnenberg geehrt wird? Richtig: Er predigt und leitet einen Gottesdienst. Ohne viel Aufhebens, so wie der 73-Jährige seit 50 Jahren regelmäßig Dienst hat in den Kirchen und Kapellen im Kirchenkreis. "Als sie 1973 mit ihrem Dienst begannen, wurde ich gerade konfirmiert. Eine Ausbildung zum Prädikanten gab es noch nicht in unserer Landeskirche und so fuhren sie zu Kursen nach Berlin. Unzählige gemeinsame Gottesdienste und Andachten haben sie hier im Kirchenkreis gefeiert und wer einen ihrer Gottesdienste miterlebt, der, die, führt sich angesprochen, fühlt sich gesehen. Das ist eine großartige Kunst, die sie ausfüllen", sagte Superintendentin Antje Marklein bei der Ehrung Jürgen Rieß' im Gottesdienst.
Er sei als Person glaubwürdig und predige das Wort Gottes in verständlicher Sprache. "Eine ordentliche Predigt ist ihnen wichtig und dafür nehmen sie sich viel Zeit. Wir rechnen ihnen ihren Dienst hoch an", betonte sie und überreichte auch eine Urkunde von Pastorin Dr. Vera Christina Pabst, der landeskirchlichen Beauftragten für den Lektoren- und Prädikantendienst - und Blumen an Gisela Rieß, der Ehefrau des Jubilars. Einen Dank der Heilig-Kreuz-Kirchengemeinde Kirchdorf, in der Jürgen Rieß in den letzten Jahren vor allem tätig ist, überreichten die Kirchenvorstandsvorsitzende Stephanie Kuhlmann und Birgit Wissel für die frühere Kapellengemeinde Langreder.
Und wie hat alles angefangen? Eines Abends vor 50 Jahren: Es klingelt an der Tür. „Es war schon kurios. Ich war im November 1972 von Berlin nach Barsinghausen gezogen und war schon in der Mariengemeinde in Barsinghausen im Familiengottesdienst-Team aktiv geworden. Und nun stand jemand aus Egestorf, aus einer Nachbargemeinde, vor der Tür und fragte, ob ich am Sonntag den Gottesdienst übernehmen könne“, erinnert sich Jürgen Rieß an seine Anfänge als Lektor und später als Prädikant. Erst habe er gezögert, weil er ja noch gar keine Ausbildung als Lektor oder gar Prädikant genossen hatte. Nach einem Gespräch mit Pastorin Juhle entschied er sich, den Gottesdienst zu halten und bestand aber auf eine spätere Ausbildung, die die Grundlage legen sollte.
Und da diese in der Landeskirche noch in den Kinderschuhen steckte, besuchte er von 1974 bis 1975 insgesamt zehn einwöchige Kurse der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, in denen eigentlich Diakone für den späteren Pfarrdienst ausgebildet wurden. 1976 schließlich wurde er zum Prädikanten im Kirchenkreis Ronnenberg beauftragt und ist dies bis heute. Seit 50 Jahren hat er nun als sogenannter Laie auf wohl jeder Kanzel im Kirchenkreis gesprochen. Über 1100 Gottesdienst hat er in dieser Zeit gestaltet, in den Jahren 2007 bis 2014 waren es jährlich über 40. Also auch über 40 geschriebene Predigten im Jahr, denn als Prädikant schreibt er – anders als Lektorinnen oder Lektoren – seine Predigten selbst. Er hat seit 1978 eine Zusatzbeauftragung für Abendmahlsgottesdienste und durfte auch von 1993 bis 2002 Taufen und Trauungen durchführen.
Doch Jürgen Rieß setzte sich über den „Tellerrand“ hinaus für die Gruppe der Laien, für Lektorinnen, Lektoren, Prädikantinnen und Prädikanten ein. Er war Sprecher der Gruppe im Kirchenkreis (1978-1980 und 1990 bis 2013), Sprecher im Sprengel (1993 bis 2013) und auch in der Landeskirche von 2002 bis 2011. Außerdem engagierte er sich drei Jahre in der klientenzentrierten Gesprächsführung in der Seelsorgeausbildung. In diese Zeit fielen unter anderem die Neuordnung der Lektoren- und Prädikantenausbildung, die Einführung von regionalen Kursen oder auch die Einführung von Kolloquien unter Teilnahme der Beauftragten und Sprecher.
„Besondere Highlights in den Jahrzehnten waren sicherlich die mehrsprachigen Stundengebete im Christuspavillon während der Expo 2000 in Hannover. Oder auch die Lektorenkirche beim Kirchentag 2005 oder die Mittagsgebete in der Garten Eden Kirche 2009“, erinnert sich Jürgen Rieß.
Seine Predigten schreibt er in seinem Arbeitszimmer – an den Wänden reihen sich Bücherregal mit theologischer Lektüre, die Anregungen geben. „Aber meine Frau und ich lesen auch insgesamt sehr viel. Deshalb stapeln sich hier auch viele Krimis. Und weil die Kirchdorfer Kirche näher an unserem Haus liegt als die Klosterkirche, zu der wir eigentlich örtlich gehören, haben wir uns umpfarren lassen und engagieren uns in der Heilig-Kreuz-Gemeinde“, erzählt der 73-Jährige. Und deshalb wurde dort nun das 50-jährige Jubiläum als Lektor und Prädikant gefeiert.