Vom Kapitän zum Pastor

Bild: Hannegreth Grundmann

Es ist noch gar nicht so lange her, da stand Jonas Buja als ehrenamtlicher Kapitän auf der Kommandobrücke des zivilen Seenotrettungsschiffs „Iuventa“ und fuhr über das Mittelmeer. Rund 8.000 Flüchtlinge rettete er gemeinsam mit der Crew des ehemaligen Fischtrawlers vor dem Ertrinken, teils in Kooperation mit anderen Initiativen. Hauptberuflich war der nautische Offizier aus dem ostfriesischen Leer auf Gas-Tankern unterwegs. Doch das alles ist jetzt Geschichte, Buja hat die Kommandobrücke mit dem Hörsaal getauscht. Als Quereinsteiger studiert der 30-Jährige nun in Wuppertal evangelische Theologie. Sein Ziel ist das Pfarramt - mit Seelsorge und Kanzel.

Der Kurswechsel zeichnete sich 2019 an Bord des Dreimastseglers „Thor Heyerdahl” ab, auf dem er als Crewmitglied eine Jugendreise begleitet hat. “Das war ein sehr erfüllendes Miteinander von Menschen, in der Berufsschifffahrt ist es doch meist ein Nebeneinander„, blickt Buja zurück, der sich auch als Kirchenvorsteher in seiner evangelischen Heimatgemeinde Holtland engagiert. Sein Ziel: “Als Seelsorger für die Menschen da sein, ihnen helfen, ihr Leben zu gestalten."

Vorwiegend läuft das Masterstudium „Theological Studies“ an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal berufsbegleitend, sieben Semester inklusive Vorbereitungskurs. Doch das funktioniert bei Buja nicht. „Die Arbeit auf See und das Studium vertragen sich nicht. Deshalb habe ich meinen Job komplett aufgegeben und studiere Vollzeit“, berichtet er. Finanziell ist er durch eigene Rücklagen abgesichert. Außerdem unterstützen ihn seine Eltern.

Bereicherung durch Lebenserfahrungen

Ulrike Meyer ist schon weiter. Die 53-jährige Bauingenieurin, Sopranistin und Mutter von zwei erwachsenen Kindern hat das theologische Studium bereits absolviert. Auch das Vikariat, der praktischen Teil der Ausbildung, ist abgeschlossen. Das sei nicht immer einfach gewesen, die auf drei Jahre komprimierte Studienzeit habe sie als „Druckbetankung“ empfunden, sagt Mayer - und ergänzt: „Mit vielen positiven Impulsen für Hirn und Geist.“
Ihre Arbeit als Tragwerksplanerin mit mathematischem Blick auf die Statik großer Bauten - vorbei. „Ich hatte Spaß mit den Zahlen“, sagt sie. Doch nun konzentriere sie sich auf neue Aufgaben. Im Frühjahr wurde sie zur Pastorin ordiniert. Seither arbeitet sie als Seelsorgerin an der evangelischen St.-Jakobi-Kirche in Hanstedt bei Hamburg.

„Die Verbindung zu den Menschen ist mir wichtig“, betont die Theologin, in Gottesdienst, Seelsorge und Konfirmandenarbeit. Und auch die Musik und Solo-Konzerte sollen weiter wichtig bleiben. „Das ist meine Leidenschaft“, sagt die Profi-Sängerin.
Als Nautiker oder Ingenieurin Pastor oder Pfarrerin werden? Quereinsteiger wie Buja und Meyer werden immer wichtiger - neben den Absolventen des grundständigen Theologiestudiums, das mindestens zehn Semester dauert. Denn die Kirchen in Deutschland rechnen bis 2030 mit deutlich weniger Pastorinnen und Pastoren. Viele aus den geburtenstarken Jahrgängen gehen in den Ruhestand.

Zwar rückt im gleichen Zeitraum Nachwuchs auf. Und aufgrund sinkender Mitgliederzahlen der Kirchen und rückläufiger Finanzmittel werden auch Pfarrstellen gestrichen. Trotzdem besteht die Sorge, dass der zukünftige Bedarf an theologischem Personal nur schwer gedeckt werden kann. Allein die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers, die größte Landeskirche in Deutschland, rechnet damit, dass in nächster Zeit jährlich etwa 100 Pastorinnen und Pastoren in den Ruhestand gehen. 2030 sollen es dann insgesamt etwa 1.200 Pastorinnen und Pastoren sein, heute sind es 1.590.

Auch um möglichst viele Stellen wieder besetzen zu können, hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) 2019 für Quereinsteiger den „Master of Theological Studies“ eingeführt. „Voraussetzung für die Bewerbung um einen Studienplatz in Heidelberg, Marburg, Frankfurt und Mainz, Wuppertal oder Greifswald sind ein nicht-theologisches universitäres Studium und fünf Jahre einschlägige Berufserfahrung“, erläutert EKD-Hochschulreferentin Christiane de Vos.
Ältere Ausbildungen zum „Pfarrverwalter“, der dann auch den Titel des Pastors führt, gibt es in Bayern und in der hannoverschen Landeskirche. „So einfach aus dem Off geht das aber auch nicht“, sagt Oberkirchenrat Helmut Aßmann, der in der hannoverschen Landeskirche für die theologische Ausbildung zuständig ist. Die Zugangsvoraussetzungen für die 18-monatige Ausbildung sind nach seinen Worten hoch, Kompetenzen aus kirchlich-diakonischen Berufen oder eine intensive kirchliche Sozialisation Pflicht.
Maximal fünf Personen aus der hannoverschen Landeskirche werden pro Jahrgang für diesen besonderen Zugang von einer Kommission ausgewählt. Keine Zahlen, die die Nachwuchsprobleme lösen. Trotzdem: Regionalbischof Stephan Schaede, der Ulrike Meyer ordiniert hat, freut sich neben den „Grundständigen“ auf alle, die quer ins Pfarramt einsteigen. Sie bereicherten die Kirche mit ihren Lebenserfahrungen: „Durch Kolleginnen und Kollegen wie Ulrike Meyer kommt es zu einer professionellen Durchlüftung des Berufsstandes.“

Ulrike Meyer war Bauingenieurin.

Regionalbischof war mal Postbote

Zuerst Postbote, später leitender evangelischer Theologe: Der Regionalbischof des evangelisch-lutherischen Kirchenbezirks Ostfriesland-Ems, Detlef Klahr, gehört zu Niedersachsens prominenten Quereinsteigern in das Pfarramt. „Ich war gerne Postbote - aber die Theologie war und ist mein Lebenselixier“, sagt Klahr im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Berufswege wie die des 65-jährigen Regionalbischofs mit Dienstsitz in Emden sind auch heute noch die Ausnahme. Eine Mehrzahl der Berufsanfänger entscheidet sich in der Regel von Anbeginn für ein grundständiges Theologiestudium, das mindestens zehn Semester dauert und an das sich mit dem Vikariat noch Praxisjahre anschließen. „Ich kam aus einem kleinen Dorf und habe als Hauptschüler im Alter von 15 Jahren bei der Post in Celle angefangen“, blickt Klahr zurück. „Das habe ich total gerne gemacht - und die Ausbildung war gut.“

Im Alter von 20 Jahren fing Klahr noch einmal neu an. „Gott hat mir den Weg geebnet“, sagt der Mann, der seit August 2007 Landessuperintendent für den Sprengel Ostfriesland-Ems der hannoverschen Landeskirche ist, seit 2020 mit der Amtsbezeichnung Regionalbischof. Die Post stellte ihn zunächst für ein Jahr frei, damit er probieren konnte, ob das Bafög-finanzierte Studium an der Theologischen Akademie Celle-Hermannsburg für ihn richtig war: „Ich konnte etwas wagen, ohne ins Leere zu fallen - dafür bin ich bis heute zutiefst dankbar.“

Schon als Konfirmand habe er sich gerne mit der Bibel beschäftigt, erinnert sich der gebürtige Heidjer, der seit 2015 den synodalen theologischen Ausschuss für Schrift und Verkündigung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) leitet. „Die Bibel in die Hand zu nehmen, das habe ich damals schon geliebt.“

Und er sieht durchaus Parallelen zwischen seinem Job bei der Post und seinen Aufgaben als späterer Gemeindepastor: „Als Postbote habe ich Menschen erlebt, von ihren Nöten erfahren. Ich habe ihnen zugehört, konnte sie ermutigen.“ Das beruflich machen zu dürfen, Menschen zu begleiten und das Evangelium zu verkündigen - „das ist toll“. Zwischendurch promovierte er mit einer Arbeit über den lutherischen Erweckungs-Theologen und Dichter Philipp Spitta (1801-1859), der mit der Lehre als Uhrmacher auch zunächst in einen anderen Beruf einstieg, die Ausbildung anders als Klahr aber abbrach.

Gegenwärtig gibt es an einigen Hochschulen in Deutschland die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen als beruflicher Quereinsteiger in verkürzter Dauer Theologie zu studieren. Die hannoversche Landeskirche bietet überdies ein Quereinsteiger-Programm an, das nach 18 Monaten für einen eng begrenzten Personenkreis mit dem Abschluss als „Pfarrverwalter“ oder „Pfarrverwalterin“ endet. Damit können sie als Pastorin oder Pastor in einer Gemeinde arbeiten. Auch diese Initiativen sollen dabei helfen, der zunehmenden Personalnot in immer mehr Pfarrämtern der evangelischen Landeskirchen zu begegnen.

epd

Dieter Sell (epd)