Büffeln unter Buntglasfenstern

Ein Buntglasfenster in einer Kirche.
Bild: Christine Warnecke/EMA
Investoren haben eine ehemalige Kirche in Hannover zum Studentenwohnheim umgebaut.

Wo einst die Orgel spielte, ist künftig eine Gemeinschaftsküche. Und wo Menschen in Kirchenbänken saßen, öffnen sich jetzt Zimmertüren. In der früheren evangelischen Gerhard-Uhlhorn-Kirche in Hannover vollzieht sich derzeit ein ungewöhnliches Bauprojekt: Zwei Investoren bauen die 1963 errichtete Kirche in ein Studentenwohnheim um. 31 Räume sind hier neu entstanden, mit Eichenparkett, Duschbad und einem äußerst leisen "Flüsterkühlschrank". "Damit man nachts schlafen kann", erläutert Projektentwickler Dirk Felsmann (55), während er auf ausgelegter Pappe vorsichtig über die frisch verlegten Böden schreitet. Schon im Oktober werden die ersten Studierenden einziehen. 

Eine Kirche als Wohnraum für Studenten, das ist aus Sicht der Investoren bislang einmalig in Europa. "Wir haben viel nachgeforscht, aber nichts gefunden, was in diese Richtung ging", sagt Felsmann. Vor drei Jahren haben er und sein Partner Gert Meinhof die 2012 entwidmete Kirche gekauft. Zunächst wollten sie hier Wohnungen für alleinerziehende Familien schaffen, doch die wären zu teuer geworden. So kamen sie auf die Idee, kleinere Zimmer an Studierende zu vermieten. Schließlich liegt die Kirche im Multikulti-Stadtteil Linden, und mit dem Fahrrad sind es über eine Brücke nur ein paar Minuten bis zur Uni. "Man muss sich etwas überlegen, wie man so ein Haus bespielen kann."

Investoren haben eine ehemalige Kirche in Hannover zum Studentenwohnheim umgebaut.
In die ehemalige Kirche wurden Zimmer eingezogen.

Die Uhlhorn-Kirche, idyllisch am Leine-Ufer gelegen, gehört zu den zahlreichen Kirchen in Deutschland, die in den vergangenen Jahren aufgegeben und verkauft wurden, weil die Zahl der Kirchenmitglieder zurückgeht. Viele von ihnen wurden zu Museen, Bibliotheken oder Kulturtreffs, einzelne zu Synagogen oder Restaurants umgebaut. In Hannover-Linden hatten 2009 zwei evangelische Gemeinden fusioniert, damit war eine Kirche übrig. "Zwei Kirchen im Abstand von fünf Minuten, das macht keinen Sinn", sagt Pastorin Dorothee Blaffert. Vier Jahre stand die Uhlhorn-Kirche zum Verkauf, doch erst die Idee von Felsmann und Meinhof überzeugte die Pastorin: "Das war das passendste Konzept, denn Wohnraum wird gebraucht."

Die Umsetzung forderte viel Kreativität, erzählt Dirk Felsmann. "Wir bewegen uns die ganze Zeit im Spannungsverhältnis zwischen Bauphysik, Denkmalschutz, Brandschutz und Statik." So durfte an den denkmalgeschützten Wänden der Kirche keine Wärmedämmung angebracht werden. Die Lösung: "Wir haben ein Haus im Haus gebaut." Der zweistöckige Zimmerblock wurde in die Kirchenhülle wie eine Schachtel hineingesetzt. Nur die neuen Räume sind schall- und wärmegedämmt - einschließlich dicker Türen. "Der Rest ist nur wasserdicht."

Die Uhlhorn-Kirche gehört zu den zahlreichen Kirchen in Deutschland, die in den vergangenen Jahren aufgegeben und verkauft wurden, weil die Zahl der Kirchenmitglieder zurückgeht.

So ist vom alten Sakralraum des Architekten Reinhard Riemerschmid (1914-1996) noch viel zu sehen. Wie ein Zelt wölbt sich das Dach 21 Meter in die Höhe. "Wer noch oben schaut, blickt direkt in den hölzernen Spitzgiebel." Wenn die Sonne scheint, fluten von dort oben her Buntglasfenster die weiß gestrichenen Studentenflure mit roten, gelben oder blauen Lichteffekten - das Kunstwerk der Berliner Glasmalerin Ingrid Schuhknecht zeigt den zweiten bis sechsten Tag der Schöpfung.

Selbst für die alten Kirchenbänke hat Felsmann noch Verwendung. Einige von ihnen werden in die beiden Gemeinschaftsküchen eingebaut - als Sitzgelegenheit an einer zwölf Meter langen Tafel aus Eichenholz. "Alles, was zu erhalten ist, bleibt erhalten." An einer der Giebelwände hängt noch die große Jesus-Figur von einst. Sie soll jedoch durch Segeltuch verhüllt werden. "Wir verleugnen nicht, dass er da ist. Wir stellen ihn aber auch nicht zur Schau." Der frühere Altar steht ebenfalls noch an Ort und Stelle, am Ende des früheren Mittelganges und heutigen Zimmerflures. Um ihn zu schützen, wird er mit Parkettholz verkleidet.

Pastorin Blaffert findet für den fünf Millionen Euro teuren Umbau nur anerkennende Worte: "Schick" sei ihre alte Kirche geworden. Und auch die hannoversche Landeskirche ist zufrieden. Wichtig sei, dass die Würde des Kirchenraums erhalten bleibe und die neue Nutzung nicht dem christlichen Menschenbild widerspreche, sagt ein Sprecher. Das sei bei der Uhlhorn-Kirche gelungen. Dirk Felsmann betont, dass der Umbau den Charakter des Gebäudes bis auf neue Dachfenster, einige Lichtöffnungen an der Fassade und zwei Treppen im Inneren kaum verändert habe. "Wenn wir alles herausreißen würden, wäre es wieder eine Kirche."

Michael Grau/epd