Der Deutsche Evangelische Kirchentag hat sich lange nicht von drei Reformpädagogen distanziert, die im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt in die Kritik geraten sind. Taten der drei auf Kirchentagen gab es laut einer Studie allerdings nicht.
Fulda/Hannover. Die Reformpädagogen Hartmut von Hentig, Gerold Becker und Helmut Kentler haben auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEKT) laut einer Studie wohl keine sexualisierte Gewalt begangen oder gerechtfertigt. Dennoch habe der DEKT sich nicht distanziert, nachdem Vorwürfe gegen die drei bekannt geworden seien, räumte Kirchentags-Generalsekretärin Kristin Jahn am Freitag in Fulda ein. Die Frage bleibe, warum nicht. Als Reaktion verbessert der DEKT sein Schutzkonzept. Die Theologin Margot Käßmann sagte, es sei „unfassbar, dass diese drei Männer so lange unbehelligt agieren konnten“.
Der ehemalige Kirchentagspräsident Thomas de Maizière sagte, bis 2010 seien die Vorwürfe gegen von Hentig, Kentler und Becker dem Kirchentagspräsidium nicht bekannt gewesen. Unter anderen Ehren- und Hauptamtlichen des DEKT gab es laut der Studie zumindest bis 1999 kein Wissen zu Straftaten Kentlers und Beckers. De Maizière betonte, dass die Tatsache, dass keine Taten der Reformpädagogen auf dem Kirchentag nachweisbar sind, nicht bedeute, dass es hier keine Taten gegeben habe.
Seit den 1960er-Jahren waren von Hentig, Becker und Kentler auf Kirchentagen als Redner und auf Podien aktiv gewesen und nahmen Einfluss auf Themen sowie Debatten. In den 1980er- und 1990er-Jahren gehörten sie sogar zum Präsidium. Der DEKT hatte die Studie „Pädophilie im Fokus - Zur Rolle von Hentigs, Beckers und Kentlers beim Deutschen Evangelischen Kirchentag“ beauftragt, der Historiker Uwe Kaminsky hat sie unabhängig erstellt und am 14. November veröffentlicht.
Alle drei Reformpädagogen sind im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt in die Kritik geraten, in den Fällen Kentlers und Beckers auch als Täter. Im „Kentler-Experiment“ vermittelten Jugendämter Kinder und Jugendliche wissentlich an pädophile Pflegeväter. Von Hentigs langjähriger enger Freund Becker war Leiter der Odenwaldschule und wurde von Schülern später als Haupttäter bezeichnet. Er soll dort mehr als 100 Minderjährige missbraucht haben. Kentler und Becker sind bereits verstorben.
Käßmann sagte, es habe zu ihrer Zeit als Generalsekretärin des Kirchentags von 1994 bis 1999 keinerlei Verdachtsmomente oder Gerüchte im Blick auf sexuellen Missbrauch durch diese Männer gegeben. „Ich bin selbst Mutter von vier Kindern“, sagte die ehemalige hannoversche Landesbischöfin und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“: „Selbstverständlich wäre ich dagegen vorgegangen.“ Zu von Hentig habe sie ein „schwieriges Verhältnis“ gehabt. Er habe versucht, im Präsidium ihre Wahl zur Generalsekretärin zu verhindern.
Die Präventionsmanagerin des Kirchentages, Lea Dreyer, erklärte, für das nächste Protestantentreffen zwischen dem 30. April und dem 4. Mai 2025 in Hannover würden für bestimmte Mitwirkende wie Quartiermeister oder Gruppenleiter erweiterte polizeiliche Führungszeugnisse eingeholt. Zudem gebe es Schulungen für Ehrenamtliche und eine Telefonhotline rund um die Uhr. Jede Meldung eines Vorfalls führe zur Bildung eines Interventionsteams. Im Zentrum Kinder und Familie und im Zentrum Junge Menschen werde je eine Schutzzone eingerichtet, dort seien Ansprechpersonen vor Ort.
Der DEKT teilte mit, die Studie benenne einen Zusammenhang zwischen den ehrenamtlichen Strukturen und der Tatsache, „dass das Wirken zweier Täter und eines Unterstützers so lange nicht in den Blick geriet“. De Maizière sagte dazu, das Ehrenamt sei einerseits ein großer Schatz, andererseits ein Mangel: „Mehr professionelle Distanz wäre nicht schlecht.“ Bei der Rekrutierung von Mitwirkenden gelte es, einen sorgsamen Blick zu entfalten. Prominenz sei noch kein Hinweis auf Unbelastetheit.
Jahn kündigte an, die Studie solle beim Kirchentag in Hannover Thema werden. Ob sie fortgesetzt werde, sei im Präsidium noch nicht entschieden. Der Kirchentag wurde 1949 in Hannover als christliche Laienbewegung gegründet und war dort bereits viermal zu Gast. Er wird alle zwei Jahre in einer anderen deutschen Großstadt ausgerichtet.