Hannover, Oesede. In einem Fall von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirchengemeinde Oesede bei Osnabrück durch einen angehenden Diakon in den 1970er Jahren hat eine Aufarbeitungskommission schwere Versäumnisse festgestellt. Neben der Betroffenen, die den Fall im Oktober 2021 unter dem Pseudonym Lisa Meyer öffentlich gemacht hat, habe es mindestens sieben weitere Betroffene gegeben, sagte der Jurist Wolfgang Rosenbusch bei der Vorstellung der Studie am Dienstag in Hannover.
Zudem geht die Studie Vorwürfen Meyers nach, die Kirche habe eine Aufarbeitung des Falles auch dann noch unterlassen, nachdem sie sich 2010 mit ihrem Fall an das hannoversche Landeskirchenamt gewandt hatte.
Rosenbusch sagte, einige der Taten hätten verhindert werden können, wenn die Verantwortlichen in der Kirchengemeinde eingeschritten wären. Der frühere Vorsitzende Richter am Landgericht Hannover erläuterte als Mitglied der unabhängigen Kommission, stattdessen sei der Beschuldigte durch den damaligen Pastor und den Kirchenvorstand geschützt worden. Den Opfern im Kindesalter habe niemand geholfen. „Man kann es nicht anders nennen als Vertuschung.“
Als die Gemeinde den Mann schließlich 1977 entließ, seien die Vorwürfe gegen ihn nirgends dokumentiert worden, sagte Rosenbusch. Dabei seien den Verantwortlichen damals neben Lisa Meyer mindestens drei weitere Betroffene bekannt gewesen. „Diese Kinder sind als Opfer überhaupt nicht wahrgenommen worden.“ Später habe der Mann als ehrenamtlicher Mitarbeiter in einem Sportverein weitere Taten verüben können.
Die Untersuchung der Kommission kritisiert wenige Wochen nach der Präsentation der großen sogenannten ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), nun auch das Verhalten der Landeskirche in jüngerer Vergangenheit. Nachdem sich Lisa Meyer an die Verantwortlichen im Landeskirchenamt gewandt habe, hätten diese die Kirchengemeinde nicht informiert. Die Leiterin der Kommission, die Hamburger Professorin für Soziale Arbeit Christa Paul, nannte dies „ein erhebliches Versäumnis“, weil eine „zeitnahe Aufarbeitung deswegen unterblieben ist“.
Meyer hatte bei der Veröffentlichung ihres Falles berichtet, damals wäre ihr zwar Hilfe angeboten worden, aber weiter sei nichts veranlasst worden. Der Leiter der Rechtsabeilung der Landeskirche, Dr. Rainer Mainusch, hatte dies später als Fehler bezeichnet. Die Sozialwissenschaftlerin Paul sagte, die Landeskirche hätte damals schon eine Aufarbeitung beginnen müssen. Von einer Vertuschung, wie sie Lisa Meyer sehe, wolle sie aber nicht sprechen. Paul nannte die Worte „Nachlässigkeit, Unsensibilität, Überforderung“.
So sei auch die „Ansprechstelle Sexualisierte Gewalt“ der Landeskirche bis in die 2020er Jahre personell unzureichend aufgestellt gewesen, sagte Paul. Es sei bekannt gewesen, dass deshalb Betroffene keine zeitnahe Unterstützung gefunden hätten.
Landesbischof Ralf Meister nahm ein Exemplar der Studie entgegen, die der Kirche bis zum Zeitpunkt der Präsentation nicht bekannt war. Er sprach Meyer seinen Respekt aus. Ohne ihren Einsatz über Jahrzehnte wäre es nicht zu der Aufarbeitung gekommen, sagte er.
Lisa Meyer saß bei der Vorstellung der Studie im Publikum und bemängelte, sie sei bei deren Erarbeitung als Betroffene nicht hinreichend beteiligt gewesen. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) kritisierte sie auch die Autoren der Studie. Diese hätten zum Beispiel ohne sie zu fragen einen E-Mail-Austausch aus den Jahren 2020 und 2021 vom Landeskirchenamt angefordert. Der Schriftverkehr enthalte zum Teil intime Informationen, die sie nicht freigegeben hätte, sagte Meyer. Aus ihrer Sicht verstoße ein solches Vorgehen gegen den Datenschutz.
Studienleiterin Paul sagte, sie sei davon ausgegangen, dass die Kirche Meyers Einverständnis eingeholt habe. Rosenbusch ergänzte, Daten, deren Verwendung Meyer widersprochen habe, seien nicht in die Studie eingeflossen.
Die Landeskirche kündigte an, sie werde den Umgang mit den angesprochenen Informationen prüfen. Dazu werde die Landeskirche, ebenso wie zu dem Abschlussbericht insgesamt, voraussichtlich am 15. März in einer Pressekonferenz Stellung nehmen.