Hannover. Seelische Belastungen und psychische Erkrankungen sind insbesondere bei jungen Erwachsenen weiter auf dem Vormarsch. „Im Jahr 2022 ist der Beratungsbedarf der 18- bis 27-Jährigen erneut um 20 Prozent gestiegen“, sagte die Leiterin des Evangelischen Beratungszentrums im Diakonischen Werk Hannover, Angela Wilhelm, am Mittwoch in Hannover. Viele junge Menschen hätten nach der Pandemie noch immer nicht den Weg zurück ins Leben gefunden. Der Unterstützungsbedarf in dieser Altersgruppe lag in der Beratungsstelle bereits 2021 rund 50 Prozent höher als im Vorjahr.
Hauptprobleme der jungen Klienten seien Ängste, Depressionen, hoher Digitalkonsum sowie daraus resultierend sozialer Rückzug und Vereinsamung. „Die Jugendliche schieben wichtige Lebensentscheidungen auf, zwischen Schulabschluss und erstem Job entstehen zum Teil riesige zeitliche Lücken“, sagte Psychotherapeutin Melanie Kieback. In der Beratung gehe es unter anderem darum, Selbstwertgefühl und Selbstverantwortung der jungen Erwachsenen zu stärken, um sie wieder handlungsfähig zu machen.
Weitere Themen waren den Angaben zufolge im vergangenen Jahr die Suizidprävention sowie Überforderungsgefühle bei der Arbeit. „Da geht es um objektive Überlastungen am Arbeitsplatz, aber auch darum, die eigene Haltung zu reflektieren, zu schauen, welchen Druck man sich selber macht“, sagte Wilhelm.
Die Anzahl von Beratungen rund um das Thema Suizid seien bereits im Juni 2023 so hoch gewesen wie im gesamten Jahr 2022. Schulen fragten das Suizidpräventionsangebot der Beratungsstelle vermehrt nach. Dabei spielten Schauspieler typische Probleme von Jugendlichen, wie Ausgrenzung, Liebeskummer oder Leistungsdruck anschaulich nach. „Wir haben damit 2022 rund 700 Schülerinnen und Schüler erreicht, Suizidpräventionsarbeit ist unverzichtbar“, sagte Kieback.
„Inzwischen beginnen psychische Erkrankungen bereits vor dem Alter von 24 Jahren, da ist es enorm wichtig, schnell zu handeln, damit sich die Beschwerden nicht chronifizieren“, sagte Wilhelm. Die Beratung könne eine wichtige Brücke beim Warten auf den Therapieplatz bilden.
Friedhelm Feldkamp, Diakoniepastor und Geschäftsführer des Diakonischen Werks Hannover, appellierte, psychologische Beratungsstellen verlässlich finanziell abzusichern. „Wenn wir das Unterstützungssystem nicht ausreichend finanzieren, fällt uns das gesellschaftlich auf die Füße“, sagte er.
Im größten Beratungszentrum der hannoverschen Landeskirche teilen sich neun Pädagogen und Psychologen vier Vollzeitstellen. Die Themen reichen von Schwangerschafts- und Erziehungsberatung über Krisenintervention, Suizidprävention und Stressprophylaxe bis hin zu Trauma-Beratung und Psycho-Onkologie. Künftig will sich das Team vermehrt auch dem Thema sexuelle Identität widmen.
Insgesamt erhielten 2022 im Beratungszentrum rund 1.600 Menschen in 4.000 Sitzungen Unterstützung. Die Mitarbeiter bemühen sich vor allem Jugendlichen, Termine innerhalb von wenigen Tagen zu ermöglichen. Bei den Erwachsenen beträgt die Wartezeit rund drei Wochen.
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epd Niedersachsen-Bremen