Bischof Meister: Sehe den Wandel in der Kirche entspannt

Landesbischof Ralf Meister radelt durch Hannover. Foto: epd-bild/Jens Schulze
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Hannover. Der hannoversche Landesbischof Meister zeigt sich durch schwindende Mitgliederzahlen und wachsende Herausforderungen, mit kirchlichen Themen die Öffentlichkeit zu erreichen, nicht beunruhigt. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erläutert der evangelische Theologe, dass die Kirche schon viele einschneidende Veränderungen überstanden habe – und seit ihrem Bestehen immer wieder Erneuerungskraft beweise. Über digitale Kanäle erreiche die Kirche eine wachsende Zahl an Menschen, zudem sei das Christentum global betrachtet auf dem Vormarsch.

Herr Meister, die Landeskirche hat an die 8.000 Gebäude, darunter 1.400 Kirchen und Kapellen, die meisten uralt. Stellt die vom Staat beabsichtigte Energiewende die Landeskirche nicht vor erhebliche finanzielle Probleme?

Meister: Keineswegs. Viele Kirchengebäude sind nachhaltig, die wenigsten unserer Kirchen werden komplett beheizt. In Zukunft werden wir vielerorts sicher noch weitaus sparsamer heizen. Und Kirchengebäude sind für die Energiewende auch deshalb sehr interessant, weil sie hohe Dächer und große Dachflächen in Südausrichtung haben und geeignet sind für Fotovoltaik. Bislang stand dem immer der Denkmalsschutz entgegen. Nachdem sich das geändert hat, lässt sich eine Menge machen. Jede Gemeinde kann jetzt fragen: Wie bekommen wir Fotovoltaik aufs Dach? Und viele tun das auch schon!

Das heißt, die evangelische Kirche will beim Klimaschutz voranschreiten?

Meister: Wir könnten eine ganze Menge schaffen. Ich sage seit Jahren, dass ich mir eine Fotovoltaikanlage etwa auch auf dem Dach der Marktkirche in Hannover gut vorstellen kann. Das wäre ein starkes, weithin sichtbares Signal für Christentum und Klimaschutz. Derzeit sieht es so aus, als ob unser Land die selbst gesteckten Klimaziele für die nächsten Jahre nicht erreicht. Da sollten wir uns nicht in die Schlange einreihen derer, die nur abwarten, während der Klimawandel immer sichtbarer und bedrohlicher wird. Wir sollten selbst loslegen!

Werden die Kirchen nicht hässlicher durch Fotovoltaik auf den Dächern?

Meister: Nein. Sicherlich spielen auch ästhetische Kategorien eine Rolle. Aber wir sollten auch sagen: Ästhetik darf nicht das entscheidende Kriterium sein. Und es braucht im Zweifelsfall keine Abstimmungen oder Bürgerentscheide, ob Fotovoltaik auf ein Kirchendach soll oder nicht. Kirchen haben eine hohe Symbolfunktion für jede Gemeinde, jede Stadt. Aber Kirchen sind keine Gebäude, die äußerlich unveränderbar wären. Sie haben sich im Laufe der Zeit immer wieder verändert, wurden erweitert, um- und ausgebaut.

Sie haben noch eine Menge von Pfarr- und Gemeindehäusern, die angesichts schrumpfender Mitgliederzahlen nicht mehr gebraucht werden. Was geschieht mit denen?

Meister: Ich besuche alle paar Monate Kirchengemeinden und Kirchenkreise, um mir anzuschauen, welche Projekte es dort im Bereich Klimaschutz und Nachhaltigkeit gibt. In Rotenburg an der Wümme habe ich mir erklären lassen, wie ein eigentlich viel zu großes und bisher energetisch katastrophales Gemeindehaus nachhaltig umgestaltet und umfassender genutzt werden kann. Künftig werden dort viele kirchliche Player beheimatet sein, es wird aber auch für außerkirchliche Aktivität genutzt werden – etwa für den Ortsrat, für den kommunalen Neujahrsempfang für Zugezogene oder von den Landfrauen. Dergleichen geschieht schon an vielen Orten, da geht aber noch mehr. Das Beispiel zeigt auch, dass es oft nachhaltiger sein kann, die sogenannte graue Energie zu nutzen, anstatt einfach abzureißen und neu zu bauen.

Aber man wird nicht jedes Gebäude zu tragbaren Kosten und mit nachhaltiger Wirkung sanieren können ...

Meister: Deshalb ist es sinnvoll, dass wir uns von Gebäuden wie Pfarrhäusern und Gemeindehäusern trennen, wo sie nicht mehr notwendig sind. Sicher, das ist auch mit Trauer und einem gewissen Verlustgefühl verbunden. Aber in vielen Fällen werden auch Gespensterdebatten geführt. Ich plädiere dafür, diese Frage komplett zu entdramatisieren. Und ich bin ganz klar für mehr Kreativität bei der Nutzung der 20.000 Kirchengebäude, die wir in Deutschland haben: Ich habe mir interessante Beispiele in Leipzig oder in Berlin angeschaut, wo Co-Working-Spaces entstanden oder Kitas eingezogen sind. In Hannover und anderen Städten in Niedersachsen gibt es so etwas auch schon. Kirchen waren nie abgeschottete, klosterähnliche Gebäude, sondern hatten immer eine Funktion für das Dorf oder den Stadtteil.

Die Kirche probiert seit Jahrzehnten eine ganze Menge aus, wird aber in der öffentlichen Rezeption, wenn’s um die Austrittszahlen geht, als scheinbar unveränderlich und veraltet wahrgenommen. Warum dringt sie mit ihren Reformbemühungen nicht durch?

Meister: Es gibt schon lange eine Glaubwürdigkeitskrise bei den klassischen Formen, in denen wir von Gott erzählen. Das kann man gut an den kontinuierlich zurückgehenden Zahlen des Gottesdienstbesuchs erkennen, der auch nach der Corona-Zeit noch einmal im Vergleich zu den Jahren vor der Pandemie abgenommen hat. Wo wir hingegen deutlich wachsen, sind digitale Angebote, auch wenn sie teilweise nur zu kurzfristigen Kontakten führen. Ich glaube, dass die Bedeutung dieser neuen digitalen Erzählwelt wichtiger für die Kirche wird. Klassische Formen werden bleiben, aber nicht mehr allein dominieren.

Was würden Sie Pastorinnen oder Pastoren raten, die ihre klassischen Zehn-Uhr-Gottesdienste durchziehen und klagen, dass nur eine Handvoll Menschen kommt?

Meister: An vielen Orten probieren Kirchengemeinden, Pastorinnen und Pastoren neue Formen aus. Die Freiheit, den sogenannten klassischen 10-Uhr-Gottesdienst zu verändern oder zu einem anderen Zeitpunkt stattfinden zu lassen, wird immer mehr in Anspruch genommen. Und das ist auch gut so. Jesus ist doch nicht durch Galiläa gezogen und hat gesagt, sonntags um 10 Uhr müsst Ihr kommen und beten! Da sind wir schon weiter. Gemeinden, in denen der klassische Sonntagsgottesdienst gut besucht ist, werden ihn sicher weiter pflegen. Aber als flächendeckendes Modell löst sich das auf. Andere Erzählformen treten dazu oder auch an ihre Stelle. Ich sehe diesen Wandel unserer Formen und Formate inzwischen entspannt.

Die erste Mitgliederbefragung, die sich mit massiven Mitgliederrückgängen der Protestanten befasste, erschien vor gut 50 Jahren unter dem Titel „Wie stabil ist die Kirche?“ Wie stabil ist sie, Herr Meister?

Meister: Um die Stabilität der Kirche, so wie sie heute existiert, mache ich mir keine Gedanken. Denn sie wird in vielen Bereichen ohnehin nicht so bleiben, wie sie ist. Die Formen, in denen wir von Gottes Wirken in der Welt Zeugnis ablegen, wie es altertümlich heißt, die haben sich immer geändert und werden sich auch in Zukunft ändern. Die Geschichte von Gott mit den Menschen wird in den vielfältigsten Formen kommuniziert und wird, da bin ich mir sicher, enorm wirksam bleiben. Das Christentum wächst weltweit und ist die größte Religion.

Und manchmal gibt es ganz klassische Formen, die eine ungewöhnliche Renaissance erleben, oder veränderte Formen, wie die Tauffeste, die alte Formen wieder attraktiv und interessant werden lassen. Und neue Anlässe für Gottesdienste kommen hinzu: Die über 1.000 Gottesdienste zum Schulanfang allein in Niedersachsen wurden mancherorts stärker besucht als Weihnachtsgottesdienste.

Manche beklagen, die evangelische Kirche agiere zu sehr im rot-grünen Bereich und vernachlässige die Konservativen. Ist die Kirche noch da für Konservative?

Meister: Ehrlich gesagt tue ich mich mit dem Begriff konservativ schwer. Wer oder was ist denn heute konservativ? Ich erlebe die Kirche nach wie vor als einen Ort, an dem sich unterschiedliche Überzeugungen abbilden, zum Beispiel in den Kirchenvorständen, wenn es um die Verpachtung von Land geht. Da wird intensiv erörtert, ob man ausschließlich an Bio-Landwirte verpachtet oder an den konventionell wirtschaftenden Landwirt, der sei 50 Jahren im Ort lebt.

Auch bei der Aufnahme von geflüchteten Menschen haben wir unterschiedliche Positionen: Es gibt Gemeinden, die es strikt ablehnen, anderen ist es ein dringendes Anliegen. Wir haben Vertreter aller demokratisch wirkenden Parteien in den Kirchenvorständen. Menschen allerdings, die sich rassistisch oder antisemitisch äußern, schließen wir aus. Und diesen Unvereinbarkeitsbeschluss werden wir bei den kommenden Kirchenvorstandswahlen nochmals erneuern.

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epd-Gespräch: Daniel Behrendt und Michael B. Berger