Startseite Archiv Tagesthema vom 29. September 2020

"Ein starkes Zeichen der Hoffnung"

Erstmals nach monatelanger Corona-Pause hat die "Fridays for Future"-Bewegung wieder für mehr Klimaschutz demonstriert. Wir haben in Hannover Stimmen gesammelt.

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Millionen überwiegend junger Menschen haben 2019 als "Fridays for Future"-Bewegung in Deutschland und weltweit für mehr Klimaschutz demonstriert. Durch die Corona-Pandemie hat es monatelang keine Streiks und Demos mehr gegeben - bis zum 25. September. Erstmals nach der Pause kamen am Freitag deutschlandweit und auch in Niedersachsen und Bremen wieder Zehntausende zusammen, mit Abstandsregeln und Masken. Insgesamt gab es an mehr als 60 Orten in Niedersachsen und Bremen Proteste. Die Vorgaben der Veranstalter wurden laut Polizei stets eingehalten. 

In Hannover blockierten Demonstranten an acht Standorten den Straßenverkehr und machten so ihre Forderung nach einer autofreien Innenstadt deutlich. 3.000 Menschen beteiligten sich insgesamt an den Protesten. Landesbischof Ralf Meister ermutigte die Jugendlichen bei einer Kundgebung an der Christuskirche, hartnäckig für ihre Ziele einzutreten: "Ihr seid die Hoffnungszeichen für eine Welt, die Euch so dringend braucht." Gegenüber Leugnern und Verschwörungstheoretikern müsse sich "Fridays for Future" behaupten: "Ihr müsst weiter Menschen im Weg stehen, damit die Ignoranten nicht drumherum kommen, zu erkennen, was Ihr erkannt habt."

Wir haben auf der "Fridays"-Demo Stimmen gesammelt und dokumentieren sie hier.

Keine Alternative zum Klimastreik? Demonstranten von "Fridays for Future" halten ein Plakat in die Höhe (Foto: Markus Spiske / flickr.com).
Keine Alternative zum Klimastreik? Demonstranten von "Fridays for Future" halten ein Plakat in die Höhe (Foto: Markus Spiske / flickr.com).

"Es ist total wichtig, auf der Straße präsent zu sein. Die Klimakrise hört ja durch die Pandemie nicht auf. Aber Corona hat gezeigt, dass Krisenmanagement und radikales Handeln erstaunlich rasch möglich sind. Das Wort „radikal“ meint ja nicht gewaltsam, sondern dass man ein Problem an der Wurzel anpackt. Genau das fordern wir auch für das Klima.

Die Politik macht es sich leicht, auf das individuelle Verhalten zu verweisen. Ich selbst lebe auch vegan, das ist mein individueller Beitrag. Aber es braucht strukturelle Veränderungen, und dafür ist nun einmal die Politik verantwortlich. Deutschland muss seinen Teil dazu beitragen, das Pariser Klimaabkommen umzusetzen.

Es ist aus meiner Sicht wichtig, den Nahverkehr auszubauen, die autofreie Innenstadt durchzusetzen und das große Ziel anzustreben, die globale Erwärmung zu begrenzen. Deutschland muss eine Steuer auf CO2 erheben, die den tatsächlichen Preisen von Kohlenstoffdioxid entspricht. Klimawandel ist keine Meinung, er ist Fakt - und geht uns alle an."

Hannah Springer studiert Politikwissenschaft und setzt sich in der "Fridays for Future"-Ortsgruppe Hannover für das Klima ein (Foto: Alexander Nortrup).
Hannah Springer studiert Politikwissenschaft und setzt sich in der "Fridays for Future"-Ortsgruppe Hannover für das Klima ein (Foto: Alexander Nortrup).

"Was hier und an vielen anderen Orten in Deutschland und der Welt passiert, ist ein starkes Zeichen der Hoffnung. Habt großen Dank dafür! Milliarden Menschen haben durch Euch einen anderen Blick auf die Natur bekommen. Erst mit Fridays for Future ist eine tägliche Einstellungsveränderung eingetreten. Diesen teilweise radikal veränderten Blick auf die Schöpfung haben wir Euch zu verdanken.

Die Zeiten sind hart. Die Corona-Pandemie hat uns noch einmal gezeigt, wie verletzlich unsere Welt ist. Ihr glaubt nicht, wie wichtig es ist, dass Ihr in genau dieser Entschiedenheit und Hartnäckigkeit weitermacht.

Denn gegen die Verschwörer, gegen die Ignoranten und Leugner hilft nur diese Wahrheit, für die Ihr steht. Und dafür müsst Ihr auch in Zukunft stehen.

Bitte macht weiter! Und fragt die Kirchen, ob sie Euch im Herbst und Winter in ihre großen Versammlungsräume lassen. Es sind nicht meine Kirchen, aber sagt ihnen: Der Bischof hat gesagt, dass wir kommen und fragen sollen."

Landesbischof Ralf Meister auf der Demonstration von "Fridays for Future" am 25.09.2020 in Hannover (Foto: Alexander Nortrup)
Landesbischof Ralf Meister auf der Demonstration von "Fridays for Future" am 25.09.2020 in Hannover (Foto: Alexander Nortrup)

"Die erste „Fridays for Future“-Demo hier in Hannover seit Ausbruch der Pandemie war echt eine Herausforderung. Ganz ehrlich: Der Aufwand war gigantisch. Es ist ohnehin komplex, Demos zu organisieren - aber mit den Corona-Auflagen noch viel mehr. Abstand halten, Masken tragen - zum Glück hat das am Ende alles wunderbar funktioniert.

Von der ersten Planungssitzung bis zum Abbau der letzten Boxen waren locker 200 Personen ehrenamtlich mit dabei. Wir waren seit 3.30 Uhr morgens auf den Beinen für den Auf- und Abbau an acht Standorten. Dass wir von großen Organisationen oder finsteren Mächten gesteuert werden, ist einfach Quatsch. Kinder und Jugendliche sind bei uns federführend, in unserer Ortsgruppe hier in Hannover sind Jugendliche von 12 bis 25 Jahren dabei, der Schwerpunkt liegt bei 15- bis 19-Jährigen.

Mit hohen Teilnehmerzahlen haben wir eh nicht gerechnet, die angemeldete Zahl von 16.000 hatten wir nur pro forma genannt, damit es keine Probleme gibt. Gerechnet hatten wir mit um die 8.000 Personen, aber daraus ist nun eben nichts geworden. Die Erwartungen an „Fridays“-Demos sind groß. Und manchmal ist man eben auch Opfer des eigenen Erfolgs.

Wir sind trotzdem zufrieden, denn unser Ziel war es nicht, große Zahlen zu generieren, sondern den Cityring zu blockieren und für die autofreie Innenstadt zu demonstrieren. Wir konnten zeigen, dass trotz schwieriger Bedingungen viele Menschen auf die Straße gegangen sind. 

Wir leben durch die Streiks, die wird es auch weiterhin geben. Dazu gehört dann eben auch, die Schule nicht zu besuchen, wenn man streikt. Und die Politik liefert ja eher immer mehr Gründe, auf die Straße zu gehen. Wie genau, das werden wir sehen: Auf jeden Fall können wir inzwischen sehr viel besser einschätzen, was funktioniert und was nicht.

Wir freuen uns sehr über das Angebot des Landesbischofs, auf Kirchen zuzugehen und ihre Räume anzufragen. Ob und wie die einzelnen Ortsgruppen darauf zurückkommen, muss man dann sehen. Aber es ist schön, dass so ein großer Akteur unser Anliegen unterstützt."

Martin Kapp ist einer der Sprecher von "Fridays for Future" in Hannover (Foto: privat)
Martin Kapp ist einer der Sprecher von "Fridays for Future" in Hannover (Foto: privat)

"Der Klimawandel ist langfristig das wichtigste Thema, mit dem wir uns als Gesellschaft befassen müssen. Nicht zu handeln wäre aus meiner Sicht verantwortungslos - denn manche Entwicklungen sind nicht mehr aufzuhalten. Andere Dinge können wir im Moment noch lindern und positiv verändern. Und genau diese Botschaft ist bis heute nicht in Gesellschaft und Politik angekommen.

Deshalb engagiere ich mich bei „Scientists for Future“ - denn ich bin Wissenschaftler, promoviere in theoretischer Physik und untersuche kleine Quantensysteme in starken Laserfeldern. Wir demonstrieren gemeinsam mit den Jugendlichen von „Fridays“, bereiten Forschungsergebnisse auf, beraten politische Parteien und stehen zur Verfügung, um den Stand der Wissenschaft wiederzugeben. 

Zugleich engagiere ich mich seit mehr als zehn Jahren in der Kirche: Zuerst als Teamer bei den Konfirmanden, dann in der Kinder- und Jugendarbeit. Für mich ist das ein toller Ausgleich und eine Ergänzung zum theoretischen Arbeiten als Wissenschaftler. Meine Leidenschaft für Physik bringe ich immer wieder gern in der Kinder- und Jugendarbeit und auch in Predigten ein. 

Seit 2017 bin ich Lektor und halte selbst Gottesdienste. 2018 hat mich meine Gemeinde in den Kirchenvorstand gewählt, nun schließe ich bald den Kurs für angehende Prädikanten ab. Natürlich rede ich nicht immer nur über den Klimawandel. Aber ich finde schon, dass dieses Thema unbedingt auch in Predigten gehört.

Ich halte sehr wenig davon, immer nur die Verantwortung des Einzelnen zu betonen. Mal angenommen, von einem Tag auf den anderen änderten mehrere Millionen Menschen ihr Verhalten radikal. Das wäre schön, aber nur ein kleiner Teil der Deutschen, ganz zu schweigen vom Rest der Welt. Persönlicher Verzicht in der breiten Mehrheit wird in den zehn Jahren, die vielleicht noch bleiben, um den Klimawandel zu stoppen, nicht reichen. Dafür braucht es andere politische Rahmenbedingungen: deutlich mehr Elektrofahrzeuge, den stärkeren Ausbau von erneuerbarer Energie. Vor allem aber darf die Politik nicht mehr nur reden: Der Bundestag hat das Pariser Klimaabkommen einstimmig beschlossen, seine Umsetzung betreibt die Politik aber nicht konsequent."

Interviews und Transkription: Alexander Nortrup und Aaron Wendebourg
Florian Oppermann promoviert in Physik, macht kirchliche Jugendarbeit und will dem Klimawandel mehr Aufmerksamkeit verschaffen - auch auf der Kanzel (Foto: privat).
Florian Oppermann promoviert in Physik, macht kirchliche Jugendarbeit und will dem Klimawandel mehr Aufmerksamkeit verschaffen - auch auf der Kanzel (Foto: privat).

"Vor mehr als einem Jahr, im Mai 2019, habe ich auf Einladung von Landesbischof Meister auf der Landessynode über die Demos von „Fridays for Future“ sprechen dürfen. In meinem Leben hat sich seitdem viel ereignet: Ich bin in die Niederlande gezogen, studiere dort Kulturwissenschaft, Nachhaltigkeit und Diversität. Beim Klima hat sich dagegen sehr wenig getan: Es gibt weiterhin Demos, aber große Fortschritte sehe ich nicht. Ich finde das sehr schade, bin aber ehrlich gesagt auch nicht überrascht davon.

Für mich persönlich ist das Engagement bei „Fridays“ nur konsequent: Ich lerne schon mein ganzes Leben so viel über die Klimakrise und weiß immer besser, was da schief läuft. Ich stamme aus Nienhagen bei Celle und war dort in der Evangelischen Jugend aktiv. Auch hier in den Niederlanden bleibe ich der Kirche verbunden und gehe, so oft es geht, zu Taizé-Gottesdiensten. Sicher hat mein Engagement auch mit meiner sehr politischen Familie und Kirchengemeinde zu tun: Sich für Gerechtigkeit einzusetzen, habe ich früh gelernt.

Ich denke, Kirchen könnten bei dem Thema Klimawandel eine große Rolle spielen, etwa durch Predigten und Bildung. Außerdem könnten sie mit nachhaltigem Strom oder deutlich reduziertem Fleischkonsum bei eigenen Veranstaltungen vorangehen. Am Ende wäre es aus meiner Sicht unverantwortlich, wenn Kirchen sich nicht aktiv mit dem Klimawandel beschäftigten."

Paula Seidensticker hat als Aktivistin von "Fridays for Future" 2019 vor der Landessynode gesprochen. (Foto: privat)
Paula Seidensticker hat als Aktivistin von "Fridays for Future" 2019 vor der Landessynode gesprochen. (Foto: privat)