Heil und Heilung
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Andacht am 15. Sonntag nach Trinitatis
Eine der spektakulärsten und deshalb bekanntesten Heilungen im Neuen Testament steht im Markusevangelium in Kapitel 2. Dort wird berichtet, wie ein halbseitig Gelähmter von seinen Freunden zu Jesus gebracht wird, damit der den Gelähmten heilt. Sie haben allerdings Schwierigkeiten zu Jesus vorzudringen.
Zu viele Menschen wollen zu Jesus. So kommen sie auf die Idee, samt Trage auf das Dach des Hauses zu klettern, in dem Jesus ist, das Dach über Jesus aufzubrechen und den Gelähmten so zu Jesus herunterzulassen.
Als nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben (Vers 5). Was der Gelähmte bei diesen Worten empfindet, oder was die Freunde auf dem Dach dabei denken, wird nicht berichtet. Berichtet wird, dass die Schiftgelehrten sich daran stören, dass Jesus offenbar von sich selbst denkt, er könne Sünden vergeben. Als Zeichen dafür, dass Jesus das tatsächlich kann, heilt er den Gelähmten. Und er stand auf, nahm sein Bett und ging alsbald hinaus vor aller Augen (Vers 12).
Max Dorner hat über diese Passage geschrieben, das Szenario erinnere ihn an eine Chefarzt-Visite, bei der es nicht um den Kranken, sondern um den Chefarzt gehe. Das stimmt. Zuallererst erzählt uns diese Geschichte von Jesus, nämlich dass er Sünden vergeben kann. Ich kann verstehen, wenn Kranke und Behinderte sich über diese Schwerpunktsetzung des Evangelisten Markus wundern. Aber wenn ich diese Irritation überwunden habe, entdecke ich in dieser Erzählung den Paradetext dafür, dass es keinen Kausalzusammenhang zwischen Krankheit und Sünde gibt. Jesus wird im wörtlichen Sinne ein Gelähmter vor die Nase gehalten. Und Jesus bietet ihm das, was nötig ist: Er vergibt ihm seine Sünden.
Damit ist nicht gesagt, dass dieser Gelähmte das nötiger habe als alle anderen im Haus (und auf dem Dach). Das hat jeder nötig. Unter anderen auch der Gelähmte. Ich möchte sogar behaupten, dass darin der eigentliche Grund für das Leben von Jesus steckt: Sünde aufzuheben bedeutet, die Trennung zwischen Gott und Mensch aufzuheben. In Jesus kommt Gott den Menschen ganz nah. Jesus klärt hier also die Beziehung zwischen einem konkreten Menschen und dessen Gott.
Damit ist für Jesus alles klar. Dem Mann sind seine Sünden vergeben, seine Gottesbeziehung ist in Ordnung gebracht. Der Mann kann behindert sein und dennoch eine intakte Gottesbeziehung haben. Das halte ich seelsorglich für einen Gewinn, weil ich ein Krankenbett verlassen kann, ohne dass Heilung stattgefunden hat, und dennoch „Heil“, eine heile Gottesbeziehung, spürbar war. Die Erzählung in Markus 2 könnte hier also zu Ende sein.
Die Heilung im medizinischen Sinne dient bei Markus lediglich dem Sichtbarmachen der Legitimation und Vollmacht von Jesus. Die Nutznießer der Heilung sind zuallererst diejenigen, die Jesus seine Vollmacht, Sünden zu vergeben, nicht geglaubt hatten.
Ich bin davon überzeugt, so wie ich bin, mit meiner Behinderung Gottes gute Schöpfung zu sein. So sehr, dass ich weder mich noch Gott je nach einem Warum gefragt habe. Darüber kann ich selbst bisweilen staunen. Ich befürchte allerdings, dass ich anders nicht mit meiner Krankheit leben könnte. Und: Manche „Gottesbegegnung“ hätte ich ohne diese Krankheit vielleicht nicht erlebt.
Das soll unter’m Strich freilich nicht bedeuten, dass ich meine Krankheit oder Krankheiten allgemein als positiv bewerten möchte. Und erst recht zwinge ich seelsorglich niemanden, das Gute in seinem Leiden zu suchen. Meine eigene Krankheit finde ich dafür viel zu blöde.
Unter’m Strich heißt das allerdings, dass ich einen Zusammenhang zwischen Sünde und Krankheit für fraglich bis gefährlich halte. Und ich denke, dass ich Markus 2 auf meiner Seite habe.
Amen.
Jakob Kampermann