Startseite Archiv Tagesthema vom 29. September 2019

Gottes Reich ist barrierefrei.

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Andacht am 15. Sonntag nach Trinitatis

Wir Menschen sind so gestrickt, dass wir immer wieder nach einem „Warum“ fragen. Besonders bei schmerzhaften und leidvollen Erfahrungen drängt sich diese Frage auf: Warum gerade ich?

Im Johannesevangelium wird erzählt, dass Jesus einem Jungen begegnet, der blind geboren wurde (Joh 9,1ff.). Die Jünger von Jesus sind auch mit dabei und stellen Jesus die Frage: „Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?“

In dieser Frage steckt wahrscheinlich ganz vieles drin. Z.B. ein Weltbild, in dem Krankheit und Behinderung als Strafe angesehen werden. Vielleicht fragen die Jünger so, um Jesus zu provozieren, weil es geradezu absurd ist, dass der Junge oder dessen Eltern Schuld für die Blindheit haben. Im besten Fall fragen die Jünger so, weil sie hilflos sind.

Jesus antwortet: „Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm.“ Dann heilt Jesus den Jungen.

Jesus widerspricht der Frage nach dem Warum. Er lenkt den Blick nach vorne, fragt nach dem Wozu. Dieser Blickrichtung kann ich viel abgewinnen. Neben allem Ernstnehmen von Wut, Traurigkeit, Hilflosigkeit... ist diese Frage geradezu produktiv. Ein von Leid Betroffener kann damit nach vorne schauen und überlegen, was er aus seiner Situation machen kann.

Dass dieser Junge aber behindert ist, damit (!) Gottes Allmacht an ihm gezeigt werden kann, befremdet mich. Die Heilungsgeschichte wird für mich so zu einer Show. Der Behinderte dient nur als das Kaninchen des Zauberers, er ist nicht die Hauptfigur. Er wird auch nicht gefragt, ob er denn überhaupt geheilt werden möchte. Das wird vorausgesetzt.

Als Behinderter kann ich mir vorstellen, dass es nicht die Kranken sind, die sich bei dieser Demonstration ändern müssten. Damit gezeigt wird, dass in Gottes Reich alle "barrierefrei" miteinander leben können. Da hätte ich mir von Jesus mehr Innovation gewünscht. Dass sich eben das Umfeld der Behinderten so ändert, dass deutlich wird: In Gottes Reich leben alle Menschen "barrierefrei" miteinander.

Ich würde mir Erzählungen wünschen, in denen Jesus Kranke bewusst behindert und doch glücklich zurücklässt. Nicht geheilt, aber geheiligt. Eine solche Erzählung finde ich in der Bibel nicht.

Vielleicht ist es unsere Aufgabe, solche Geschichten zu schreiben, einander so im Blick zu haben, für einander so einzustehen, dass wir dasselbe verkünden wie Jesus Christus: Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen.

Amen.

Jakob Kampermann
Bild: Gerd Altmann/pixabay.com

Der Autor unserer Andachtsreihe

Mein Name ist Jakob Kampermann. Ich bin 41 Jahre alt und war bis vor Kurzem Pastor in einer Kirchengemeinde im Westen von Hannover. Die Vielfältigkeit des Berufes von der Öffentlichkeitsarbeit über die Gestaltung von Gottesdiensten bis zur Seelsorge hat mich immer gereizt. Tut sie noch immer.

Ich bin verheiratet und habe mit meiner Frau zwei Töchter. Seit gut 20 Jahren lebe ich mit der Diagnose „Multiple Sklerose“, einer Erkrankung des zentralen Nervensystems, was mich zunehmend motorisch eingeschränkt. Seit acht Jahren muss ich einen Rollstuhl benutzen.

Aus biografischen Gründen ist also mein Fragen nach Behinderungen, christlichem Glauben und unserem Gott besonders dringlich. Darüber schreibe ich in sechs aufeinanderfolgenden Andachten.

Pastor Jakob Kampermann

Der Bibeltext

Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war. Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?

Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm. Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.

Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden und sprach zu ihm: Geh zu dem Teich Siloah – das heißt übersetzt: gesandt – und wasche dich! Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder.

Johannes 9, 1-7
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Bild: Wiebke Ostermeier/lichtemomente.net