Startseite Archiv Tagesthema vom 15. September 2019

Trotzdemlos

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Andacht am 13. Sonntag nach Trinitatis

In unserer Küche hatten wir ein Foto auf der Fensterbank, das eine Freundin von meiner Frau und mir in der Jakobsgasse in Tübingen aufgenommen hat. Wir beide sind darauf jünger und frisch verliebt. Meine MS war mir damals kaum anzusehen.

Als unsere Tochter gerade zwei Jahre alt war, guckte meine Frau mit ihr dieses Foto an: Mama und Papa. Unsere Tochter sagte: „Aber mein Papa hat doch Krücken!“
Für sie war das selbstverständlich: Die Krücken und somit meine Behinderung gehören zu mir dazu. So bin ich. Da hat sie Recht. Nur ahne ich, dass wir uns in der Bewertung dieser Tatsache nie einig waren.
Im Johannesevangelium wird von Thomas erzählt (Joh 20,19 ff.). Auch er ist ein Zwilling (V.24). Er ist nicht dabei, als die anderen Jünger erleben, wie Jesus als Auferstandener zu ihnen kommt. Er hört die begeisterte Erzählung der anderen, hat seine Zweifel.
Eine Woche später steht Thomas selbst dem Auferstandenen gegenüber. Offensichtlich nicht wie früher. Die Türen waren ja verschlossen gewesen. Doch diese räumliche Barriere hindert den Auferstandenen nicht, zu Thomas zu kommen.
Aber eben auch nicht ganz anders als früher. Und das ist das Überraschende an dieser österlichen Geschichte. Jesus ist gestorben, sein Körper ist zu Tode gequält worden. Aber mit seinem Tod ist das nicht wie weggeblasen. Man sieht es ihm noch an. Diese Wunden, dieses Erleiden gehören so sehr zu seiner Identität, dass er als Auferstandener genau daran zu erkennen ist.
Meine Behinderung, dieser „Makel“, gehört zu mir. Sie ist nicht alles, was es über mich zu sagen gibt. Sie ist ein Teil von mir. Wäre sie irgendwann – und sei es nach meinem Tod – wie weggeblasen, es würde etwas von meiner Persönlichkeit fehlen.
Das Evangelium schildert Jesus bei seiner Begegnung mit Thomas nicht mit schmerzverzerrtem Gesicht. Die Wunden an seinem Körper sind noch zu sehen. Aber sie belasten Jesus nicht. Das ist eine verlockende Perspektive für die Ewigkeit, wenn wir mit allem, was uns ausmacht, in Gottes Reich leben werden. Es ist eine verlockende Perspektive für unsere Welt: Wir erleben schon hier und jetzt Gottes Reich, wenn wir genau das erleben.
Für meine Tochter bin ich ihr Papa, den sie liebt. Dass ich behindert bin, beeinflusst ihre Zuneigung nicht. So wie ich bin, liebt sie mich. Noch nicht einmal „trotz der Behinderung“. Ihr Lieben kennt kein „trotzdem“.
So liebt Gott uns auch: trotzdem-los. Meine Tochter hat das schon begriffen. Ich muss da noch eine Menge lernen von ihr.
Amen.

  

Jakob Kampermann
Bild: pezibear/pixabay.com

Der Autor unserer Andachtsreihe

Mein Name ist Jakob Kampermann. Ich bin 41 Jahre alt und war bis vor Kurzem Pastor in einer Kirchengemeinde im Westen von Hannover. Die Vielfältigkeit des Berufes von der Öffentlichkeitsarbeit über die Gestaltung von Gottesdiensten bis zur Seelsorge hat mich immer gereizt. Tut sie noch immer.

Ich bin verheiratet und habe mit meiner Frau zwei Töchter. Seit gut 20 Jahren lebe ich mit der Diagnose „Multiple Sklerose“, einer Erkrankung des zentralen Nervensystems, was mich zunehmend motorisch eingeschränkt. Seit acht Jahren muss ich einen Rollstuhl benutzen.

Aus biografischen Gründen ist also mein Fragen nach Behinderungen, christlichem Glauben und unserem Gott besonders dringlich. Darüber schreibe ich in sechs aufeinanderfolgenden Andachten.

Pastor Jakob Kampermann

Der Bibeltext

Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, da die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch!

Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.

Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.

Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den Heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.

Thomas aber, einer der Zwölf, der Zwilling genannt wird, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen.

Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und lege meinen Finger in die Nägelmale und lege meine Hand in seine Seite, kann ich's nicht glauben.

Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen, und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch!

Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!

Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott!

Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, darum glaubst du? Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!

Johannes 20,19-29
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Bild: Wiebke Ostermeier/lichtemomente.net