Trotzdemlos
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Andacht am 13. Sonntag nach Trinitatis
In unserer Küche hatten wir ein Foto auf der Fensterbank, das eine Freundin von meiner Frau und mir in der Jakobsgasse in Tübingen aufgenommen hat. Wir beide sind darauf jünger und frisch verliebt. Meine MS war mir damals kaum anzusehen.
Als unsere Tochter gerade zwei Jahre alt war, guckte meine Frau mit ihr dieses Foto an: Mama und Papa. Unsere Tochter sagte: „Aber mein Papa hat doch Krücken!“
Für sie war das selbstverständlich: Die Krücken und somit meine Behinderung gehören zu mir dazu. So bin ich. Da hat sie Recht. Nur ahne ich, dass wir uns in der Bewertung dieser Tatsache nie einig waren.
Im Johannesevangelium wird von Thomas erzählt (Joh 20,19 ff.). Auch er ist ein Zwilling (V.24). Er ist nicht dabei, als die anderen Jünger erleben, wie Jesus als Auferstandener zu ihnen kommt. Er hört die begeisterte Erzählung der anderen, hat seine Zweifel.
Eine Woche später steht Thomas selbst dem Auferstandenen gegenüber. Offensichtlich nicht wie früher. Die Türen waren ja verschlossen gewesen. Doch diese räumliche Barriere hindert den Auferstandenen nicht, zu Thomas zu kommen.
Aber eben auch nicht ganz anders als früher. Und das ist das Überraschende an dieser österlichen Geschichte. Jesus ist gestorben, sein Körper ist zu Tode gequält worden. Aber mit seinem Tod ist das nicht wie weggeblasen. Man sieht es ihm noch an. Diese Wunden, dieses Erleiden gehören so sehr zu seiner Identität, dass er als Auferstandener genau daran zu erkennen ist.
Meine Behinderung, dieser „Makel“, gehört zu mir. Sie ist nicht alles, was es über mich zu sagen gibt. Sie ist ein Teil von mir. Wäre sie irgendwann – und sei es nach meinem Tod – wie weggeblasen, es würde etwas von meiner Persönlichkeit fehlen.
Das Evangelium schildert Jesus bei seiner Begegnung mit Thomas nicht mit schmerzverzerrtem Gesicht. Die Wunden an seinem Körper sind noch zu sehen. Aber sie belasten Jesus nicht. Das ist eine verlockende Perspektive für die Ewigkeit, wenn wir mit allem, was uns ausmacht, in Gottes Reich leben werden. Es ist eine verlockende Perspektive für unsere Welt: Wir erleben schon hier und jetzt Gottes Reich, wenn wir genau das erleben.
Für meine Tochter bin ich ihr Papa, den sie liebt. Dass ich behindert bin, beeinflusst ihre Zuneigung nicht. So wie ich bin, liebt sie mich. Noch nicht einmal „trotz der Behinderung“. Ihr Lieben kennt kein „trotzdem“.
So liebt Gott uns auch: trotzdem-los. Meine Tochter hat das schon begriffen. Ich muss da noch eine Menge lernen von ihr.
Amen.
Jakob Kampermann