Startseite Archiv Tagesthema vom 29. August 2019

Der gehörnte Moses

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Kirchenführerin Ursula Alberts stellt uns ihren Lieblingsort in St. Katharinen in Osnabrück vor

Was macht eine Kirche zu einer unverwechselbaren Kirche? Das Besondere kann klein sein, unscheinbar, vielleicht nur eine flüchtige Begebenheit, es kann sich hinter berühmten Namen und wertvoller Kunst verbergen. Es macht eine Kirche einzigartig. Wir haben Kirchenführer in Niedersachsen gebeten, uns den Lieblingsort in ihrer Kirche vorzustellen. Den Anfang dieser losene Reihe macht Ursula Alberts, Kirchenführerin von St. Katharinen in Osnabrück.

Osnabrück.Die St.-Katharinen-Kirche ist eine spätgotische dreischiffige westfälische Hallenkirche, deren Ursprung im 13. Jahrhundert liegt. Ihr Name ist zurückzuführen auf den Katharinenkult, der von den Teilnehmern des 3. Kreuzzugs unter Friedrich Barbarossa aus dem Heiligen Land mitgebracht wurde. Ihr Innenraum ist geprägt durch die schlanken hohen Fenster und die mächtigen aufstrebenden Bündelpfeiler, die die – für Hallenkirchen typisch – gleich hohen Mittel- und Seitenschiffe trennen.  

Von den Bänken im Kirchenschiff werden die Blicke der Kirchenbesucher auf die wunderschönen  hohen gotischen Fenster im Chorraum gelenkt, die von Rosemarie Schmelzkopf-Schrick 1950 im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau nach den Zerstörungen durch den Zweiten Weltkrieg mosaikartig und mit enormer Farbkraft gearbeitet wurden. 

Elemente des neugotischen Altars der St.-Katharinen-Kirche in Osnabrück. Links der gehörnte Moses. Bild: Ursula Albers

Im nordöstlichen Seitenschiff befinden sich an der Wand Elemente des ehemaligen neugotischen Hochaltars, geschaffen von dem in Osnabrück geborenen Bildhauer August von Kreling. Ein Kruzifix wird umrahmt links von der Gestalt Moses mit den Gesetzestafeln und rechts von Johannes dem Täufer. 

Auf einer der vorderen Bänke in diesem Seitenschiff sitzend, fühle ich mich besonders angezogen von der Figur des gehörnten Moses mit den Gesetzestafeln. Ich kann darüber Nachdenken, welche Bedeutung die Zehn Gebote für uns in der heutigen Zeit haben, ins Philosophieren und Meditieren geraten. 

Im Großen wie im Kleinen könnte es in der Welt vielleicht ein wenig friedlicher zugehen, wenn diese Grundregeln und Werte der christlichen Religion für das  Zusammenleben der Menschen wieder mehr Beachtung fänden. Auf jeden Fall ist ein Nachdenken über sie sehr lohnenswert, da sie den Menschen Halt geben können in einer Zeit, in der vieles aus den Fugen geraten ist. Es wäre auch sinnvoll, mehr über die Zwischenmenschlichkeit zu sprechen und die Werte der Religionen in den Alltag zurückzuholen. 

Evangelische Zeitung
Bild: Ursula Albers

Die Interpretation des Hieronymus

Dass Moses in diesem ehemaligen Hochaltar als gehörnter Gesetzesüberbringer dargestellt ist, geht in das 4. Jahrhundert zurück. In dieser Zeit fertigte der Kirchenlehrer Hieronymus eine monumentale Übersetzung der Bibel aus dem Griechischen und Hebräischen ins Lateinische an. Im 2. Buch Moses 34,35 stieß er auf ein Wort mit den Buchstaben KRN. Dieses Wort kann als „keren“ als glänzend, leuchtend, mit Strahlen versehen oder als „karan“ als Horn interpretiert werden. Der Kirchenvater Hieronymus übersetzte diesen Vers auf folgende Weise: „Die Söhne Israels sahen, dass das Antlitz des Moses gehörnt war.“ Heute wird er so übersetzt: „Da sahen sie das Leuchten auf der Gesichtshaut von Mose.“

Es ist ein Zeichen der Lang­lebigkeit von Missverständnissen, die, obwohl sie schon geklärt sind, noch lange Zeit in der Welt wirken. Für Osnabrück und den ehemaligen Hochaltar in St. Katharinen mag es tröstlich sein, dass auch das wichtigste Werk des Michelangelo Buonarrotti, welches in Rom in der Kirche San Pietro in Vincoli zu bestaunen ist, ein gehörnter Moses ist.