Was zählt, ist der Weg
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Sommer-Gedanken von Landesbischof Ralf Meister
Entfernung ist ärgerlich. Sie liegt behäbig und zeitraubend zwischen mir und dem Ziel meiner Wünsche: dem Sonnenuntergang am Meer, dem Natursteinhaus hinter dem Sonnenblumenfeld oder dem atemberaubenden Bergpanorama. Entfernung ist der Inbegriff der Verzögerung. Wir setzen alles auf die Karte des Zeitgewinns. So verlieren wir ein Gutteil unserer Zeit einfach dadurch, dass wir ihr nichts abgewinnen können: beim Warten auf die Fähre, im Stau auf der Autobahn oder am Gate auf dem Flughafen.
Dieses Jahr mache ich es anders, habe ich mir vorgenommen. Ich habe mir einen Pilgerweg quer durch unsere Landeskirche vorgenommen, mit dem Fahrrad und zu Fuß. Als Pilger trainiere ich einen anderen Umgang mit der Zeit. Drei Etappen meines Weges habe ich geschafft. In Cuxhaven bin ich gestartet, die vorerst letzte Etappe hat mich nach Osnabrück geführt. Im nächsten Jahr soll es weiter gehen.
Pilgern ist eine wunderbare Möglichkeit, meinen Umgang mit mir selbst, mit anderen und mit der Natur von Grund auf zu verändern. Ich bin mit allen Sinnen im Hier und Jetzt: nehme wahr, wie sich die Kirschen rot färben und das Getreide reift, freue mich über einen geschenkten Becher Wasser, habe die fernen Kirchtürme im Blick, die mir Orientierung geben. Die Termine von gestern, die Pläne für morgen verblassen mit jedem Schritt. Ich habe die Zeit, die ich brauche. Was zählt, ist der Weg. Das Smartphone bleibt in der Tasche. Ganz altmodisch ziehe ich die Landkarte hervor. So nehme ich die Landschaft, die Straßen und Wege in die Hand.
Auf jeder Etappe meines Pilgerweges hatte ich nette Gesellschaft: Menschen, die vor Ort unsere Landeskirche mitgestalten, und Menschen, die ich eingeladen habe, die Pilgererfahrung mit mir zu teilen. Auf dem Weg entstehen Gespräche in einer freien Atmosphäre und man lernt sich wirklich kennen. In der Bibel gibt es eine Geschichte dazu: Zwei Jünger unterwegs, deren Lebenstraum geplatzt ist. Sie wandern von Jerusalem nach Emmaus und reden: wie sie ihre Hoffnung auf Jesus gesetzt haben, den man als Verbrecher hinrichtete. „Und es geschah, als sie so redeten und sich miteinander besprachen, da nahte sich Jesus selbst und ging mit ihnen.“
Aber die Jünger sind mit ihren Gedanken in der Vergangenheit, statt genau hinzusehen. Sie erkennen ihn nicht. Trotzdem entsteht diese Verbindung zwischen Pilgern, diese selbstverständliche Nähe zu einem Menschen, über den man kaum etwas weiß. Als sie schließlich verstehen, wer da mit ihnen gegangen ist, ist Jesus schon wieder verschwunden. Und die Jünger haben ein neues Ziel: „Und sie standen auf zu derselben Stunde, kehrten zurück nach Jerusalem.“
Im Urlaub haben wir die Chance, unser Verhältnis zur Zeit und zu den Orten neu zu bestimmen. Vielleicht spielerisch, oder behutsam oder kühn. Glücklich ist, so haben Forscher herausgefunden, wer seine Zeit nicht verstreichen und nicht von anderen verplanen lässt, sondern selbst in die Hand nimmt. Gott schenkt uns die Zeit, die wir brauchen. Wir müssen sie nicht sparen und nicht totschlagen. Nutzen wir die Freiräume des Sommers, um einen anderen Horizont zuzulassen - im Glauben wie im Denken, in der Zeit und im Raum. Wer weiß, wer mit uns geht.
Einen wunderbaren Sommer wünscht Ihnen
Ihr Ralf Meister