Asphalt – 25 Jahre auf der Straße
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Das Magazin "Asphalt" aus Hannover gehört zu den Pionieren unter den deutschen Straßenzeitungen. Anfangs wollte das Blatt auf die Situation der Wohnungslosen aufmerksam machen. Heute gilt es als soziale Stimme und bietet auch selbst Sozialarbeit an.
Morgens zwischen sieben und zehn läuft es am besten. Dann kann Martin Panitz (64) im Hauptbahnhof von Hannover schon mal ein gutes Dutzend Exemplare des Straßenmagazins „Asphalt“ an den Mann oder die Frau bringen. „Manchmal bleibt auch jemand für einen Klönschnack stehen“, erzählt er, während die Reisenden an ihm vorbeihasten. Sein blaues Hemd trägt er locker über der Jeans, aus der Brusttasche lugt sein Handy hervor. Stets hofft er, dass sein Einsatz für „Asphalt“ einmal zu einem Jobangebot führt. Als Verkäufer-Sprecher hat Panitz gerade das 25-jährige Jubiläum von „Asphalt“ mitgefeiert. Beim Festakt war auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Und vorher waren Gäste aus aller Welt zum internationalen Kongress der Straßenzeitungen nach Hannover gekommen.
1994 wurde „Asphalt“ von einem Team um den früheren hannoverschen Diakoniepastor Walter Lampe aus der Taufe gehoben, die erste Ausgabe erschien am 28. August. „Wir haben damals zu den Vorreitern in Deutschland gehört“, erinnert sich Mitinitiatorin Insa Becker-Wook. Vorbild war das Londoner Magazin „Big Issue“. In Deutschland waren kurz zuvor Straßenzeitungen in Hamburg, Köln und München gegründet worden. Aktuell gibt es etwa 30.
In Hannover entstand das Monatsmagazin aus der Arbeit mit Wohnungslosen heraus. Die Grundidee: Menschen in Armut selbst sollten gemeinsam mit professionellen Journalisten ihre Lebenssituation beschreiben und sich zugleich etwas hinzuverdienen. Vom Verkaufserlös von derzeit 2,20 Euro pro Stück dürfen sie die Hälfte behalten. Zu Beginn sei noch vieles improvisiert und „handgemacht“ gemacht gewesen, sagt Becker-Wook. „Es war immer wieder ein Wunder, wenn die Zeitung fertig war.“
Heute gehören zu den rund 170 Verkäufern auch viele Menschen, die zwar eine Wohnung, aber keinen Job haben - so wie Martin Panitz. Sie werden unterstützt von der früheren evangelischen Landesbischöfin Margot Käßmann, die seit Februar 2019 zu den Herausgebern des Blattes zählt. „Straßenzeitungen geben Menschen in prekären sozialen Lebenslagen Würde“, sagt Käßmann. „Sie betteln nicht um Geld, sondern verkaufen eine Zeitung, die inhaltlich sehr gut gemacht ist. Dadurch entsteht Begegnung auf Augenhöhe.“
Aus den Anfängen von einst ist inzwischen ein Organisationsteam mit 16 Hauptamtlichen geworden, darunter vier Redakteure. Die Auflage hat sich bei 22.500 Exemplaren eingependelt, die in 14 niedersächsischen Städten angeboten werden. Aus Verkaufserlösen, Anzeigen und Spenden erzielt die Asphalt gGmbH einen Jahresumsatz von rund 700.000 Euro.
In einem Hinterhof-Gebäude in der Oststadt laufen die Fäden zusammen. Hier bietet „Asphalt“ den Verkäufern auch eine Kleiderkammer und eine Fahrradwerkstatt sowie Kurse für Gesundheit, Kochen oder Einkaufen an. „Damit sie sich selbst helfen können“, erläutert Geschäftsführer Georg Rinke. Für den Verkauf der Zeitung gelten feste Regeln. Anbieten darf sie nur, wer einen Ausweis hat. Und jeder hat seinen festen Platz. „Wir sind keine Marktschreier und sprechen die Kunden im Normalfall nicht an“, betont Rinke. Dass Alkohol tabu ist, versteht sich von selbst. Den Verkäufern steht bei „Asphalt“ der Sozialarbeiter Christian Ahring (41) zur Seite: „Es sind sehr verschiedene Menschen mit sehr speziellen Biografien“, sagt er.
Martin Panitz, ausgebildeter Dokumentar mit Diplom, lebte einst in einem Vorort von Hannover. Er sei Mitglied in der CDU und engagiere sich für die katholische Kirche, erzählt er. Doch irgendwann ging seine Ehe in die Brüche. „Ich stand vor einem riesengroßen Scherbenhaufen, den ich nicht mehr zusammenkitten konnte.“ Als er dann noch seinen Job verlor, weil seine Stelle nicht verlängert wurde, brach für ihn vollends eine Welt zusammen. Um einen neuen Anfang zu wagen, schloss er sich "Asphalt" an.
Die Straßenzeitungen hätten in den vergangenen 25 Jahren viel bewirkt, bilanziert Bastian Pütter, deutscher Sprecher im „International Network of Street Papers“ (INSP). „Sie kompensieren einen Mangel an Hoffnung.“ Viele Menschen in Armut hätten schon resigniert, erläutert Pütter, der für das Dortmunder Magazin „bodo“ schreibt. Straßenmagazine zeigten ihnen einen Weg, selbst etwas zu tun. Und mit dem selbst verdienten Bargeld in der Hand hätten sie gleich ihr erstes Erfolgserlebnis: „Es macht schon einen Unterschied, ob ich am Bordstein stehe und warte, dass mein Leben vorübergeht, oder ob ich einfach anfange.“