"Ich bin, der ich bin."
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Andacht zum Letzten Sonntag nach Epiphanias
Und die Bäume tragen Eis. Bis in den kleinsten Ast. Die Januarsonne scheint darauf. Und es glitzert. Du schließt die Haustür, dann die Augen, die Sonne bescheint Dich kurz, wärmt sogar schon. Dann gehst du los, in Richtung Stadt. Neben dem Gehweg Tannenbäume. Abgeschmückt. Sie werden abgeholt in diesen Tagen von der Müllabfuhr.
Die Bäume tragen Eis. Die Sonne scheint darauf. Es glitzert. Und ein Busch: brennt. Und daraus eine Stimme. Ein Engel. Gottes Stimme. Die ruft. „Tritt herzu. Zieh deine Schuhe von den Füßen. Der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!“ Und du schüttelst dich. Und die Stimme spricht weiter: „Ich bin der Gott deiner Väter und Mütter. Und ich sehe, was nun los ist. Und ich will bei dir sein.“
Und du schaust hoch. Himmel ragt auf hinter den Bäumen, gemalt in Hellblau mit Streifen aus Deckweiß. Und dahinter, dahinter ein Land...; so hast du geträumt als Kind. In deinem Jetzt ist oft kein Raum für Traum.
Der Himmel verschwimmt und dein Blick liegt wieder auf den Bäumen und ihren weißen Ästen. Du schaust nach innen. Auch dein Herz trägt Eis. Und dann schaust du wieder nach vorn. Und gehst weiter. Links von dir geht eine in den Musikladen, klingeling. Rechts von dir parkende Autos. Die Geräusche der Stadt kommen näher.
Und die Januarsonne muss durch die Ritzen der Häuser dem Schatten entgegentreten. Und du biegst ab. Menschen von vorn und Menschen neben dir. Blick nach unten. Blickt gehetzt.
Und du hörst wieder die Stimme: „Ich bin Dein Gott. Und ich will bei Dir sein. In Deinem Jetzt. Tritt herzu. Der Ort, darauf Du stehst, ist heiliges Land!“ Und du fragst dich: wer ist das? Was ist das für ein Gott? Ist das der aus Himmelland. Oder ist es das, was du spürtest in dem Moment, als der Tannenbaum geschmückt stand und „Stille Nacht“ klang. Oder ist er tatsächlich jetzt hier, in deinem Jetzt gerade?
Und dieser Gott antwortet dir: „Ich bin, der ich bin. Ich werde sein, der ich sein werde.“ Und du bleibst stehen. Siehst dich um. Als gehörtest du nicht zu dir selbst. Siehst dich und die Anderen. Im Fluss. Eins und doch nicht eins. Jeder bei sich und alle gemeinsam.
Und etwas funkelt noch in dir, wie die Sterne, die du abgeschmückt hast. Will entgegenleuchten dem Eis in deinem Herz und den Schatten rechts und links. Da ist etwas. Teil des Flusses und auch nicht. Da ist etwas. Das war und ist und sein wird. Und alles zusammenhält. Und du gehst weiter.
Du stolperst, schlitterst. Eis auf Messing. 9,6 cm mal 9,6 cm. Quadrat mit abgerundeten Ecken. Buchstaben und Zahlen liegen unter dem Eis. Du hältst inne.
Brannte da wirklich ein Busch? War da wirklich eine Stimme? Du spürst: In Dir glänzt etwas. Bis in die kleinsten Kapillaren.
Und du gehst weiter.
Elisabeth Rabe-Winnen