Startseite Archiv Tagesthema vom 22. August 2018

Der Archivar, dem die Klöster vertrauen

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Wolfgang Brandis betreut, sichtet und erforscht die Archive von elf niedersächsischen Klöstern

Schnell huscht Wolfgang Brandis Zeigefinger entlang der fast 500 Jahre alten Zeilen. „Zuerst hat Meister Helmeke Hornbostel zugesagt, unser neues Schlafhaus mit Kornboden, Amtsstube und Kapitelsaal zu bauen. Dies ist uns von der Herrschaft nach Ostern niedergerissen worden“, liest und übersetzt der Archivar des Klosters Wienhausen. Brandis‘ Finger gleitet über seinen Computerbildschirm – darauf zu sehen ist die Seite eines Rechnungsbuches aus dem Jahre 1550, die in schnörkeliger Handschrift und niederdeutscher Sprache über einen Bauauftrag in dem Kloster bei Celle berichtet.

Im Jahr 1531 ließ Ernst der Bekenner, Herzog von Lüneburg-Braunschweig, den Ostflügel und weitere Teile des Klosters Wienhausen niederreißen. Es war der Versuch, die Reformation mit Gewalt auch in dieser Einrichtung voll widerspenstiger Nonnen durchzusetzen. Nach seinem Tod 1546 jedoch erteilte Äbtissin Katharina Remstede bald den Auftrag, den Ostflügel wieder aufzubauen, was 1550 mit Hilfe des Baumeisters Helmeke Hornbostel auch geschah. So heißt es im Rechnungsbuch weiter: „Pro Tag wollte er sechs Gulden haben wie es ihm gebührt, wenn er ein neues Haus baut. Außerdem Verpflegung und ein Paar englische Hosen. Er bekam 33 Gulden pro Woche, hat uns drei Gulden nachgelassen.“

Wolfgang Brandis zeigt an seinem Computer Besonderheiten einer digitalisierten Handschrift. Bild: Stefan Korinth

Es sind Geschichten wie diese, die Wolfgang Brandis voller Begeisterung erzählt. Dann sucht er schon das nächste interessante Dokument an seinem Rechner. Dort sind die Seiten vieler Urkunden, Rechnungsbücher oder Briefe aus der rund 800 Jahre währenden Geschichte des Klosters gespeichert. „Die Digitalisierung mittelalterlicher Quellen ist ein wichtiges Projekt und eine unserer Hauptaufgaben“, erläutert Brandis. Im Raum nebenan scannt seine Mitarbeiterin Antje Henze mithilfe einer Spezialkamera historische Schriftstücke aus den Klosterarchiven.

„Wir haben schon hunderte Handschriften digitalisiert“, erklärt Brandis. Für interessierte Forscher ist es besser erstmal in das digitale Dokument zu schauen, als gleich das empfindliche Original im Archiv einzusehen. Gespeichert ist das Material in verschiedenen Dateiformaten und dreifacher Ausführung auf speziellen NAS-Laufwerken. Von den vier Terrabyte Speicherplatz im Kloster sind bereits 85 Prozent gefüllt.

Zudem existiert seit zwei Jahren eine interne digitale Datenbank bei der Klosterkammer. Doch die Klosterkammer ist sich noch unsicher, ob sie diese Datenbank auch für die Nutzung im Internet freigeben will, sagt Brandis. Zum einen geht es um rechtliche Fragen, zum anderen müsse man interessierten Langfingern nicht auf die Nase binden, in welchem Kloster, welches wertvolle Sammlerstück lagert.

Einen Computer hat Brandis schon zu Beginn seiner Tätigkeit für die Archivarbeit genutzt, auch als dies noch „neumodischer Kram“ war. Seit 1991 arbeitet der gelernte Geschichts- und Biologielehrer nach einer Archiv-Fortbildung als wissenschaftlicher Archivar im Kloster Wienhausen. Seit 1993 ist er auch für die fünf weiteren Lüneburger Klöster zuständig. 1998 kamen noch die Calenberger Klöster hinzu. Und einen Tag pro Woche arbeitet er am Sitz der Klosterkammer in Hannover. „Ich fahre viel mit dem Auto umher“, sagt er denn auch einen Satz, den man von einem Archivar erstmal nicht erwarten würde.

Archivar Wolfgang Brandis vor dem Kloster Wienhausen. Bild: Stefan Korinth

Die Archive der Klöster sind alle öffentlich und so gibt es viele Forschungsanfragen, denen Brandis auch in den Klöstern vor Ort nachkommt. Von regionalen Heimat- und Familienforschern bis hin zu Historikern aus aller Welt erreichen Brandis Bitten, mal nach bestimmten Schriftstücken oder Stichworten in Klosterarchiven zu suchen. „Gerade amerikanische Historiker sind richtig verrückt nach dem Mittelalter.“

Besonders viel ist er zu den Lüneburger Klöstern unterwegs. Die Gemeinschaften hier in der dünnbesiedelten Heide wurden im Laufe der Geschichte nicht so sehr von Wegnahmen und Zerstörungen heimgesucht wie die südlicher gelegenen Calenberger Klöster, erläutert Brandis. Deshalb hätten die Lüneburger Klöster heute mehr Kostbarkeiten zu bieten. Und wenn doch mal rabiater Herzog wie Ernst der Bekenner kam, versteckten die Äbtissinnen die wertvollen Gegenstände gekonnt. Gut drei Viertel der „Klosterschätze“, die bis Mitte August in der großen Klosterkammerausstellung im Landesmuseum Hannover zu sehen waren, stammten denn auch aus den „Heideklöstern“.

Dazu gehörten auch die Gründungsurkunde des Klosters Isenhagen von 1243 und eine nahezu lebensgroße Statue der Herzogin Agnes von Landsberg, die die Klöster Isenhagen und Wienhausen stiftete. Wer die Ausstellung mit dem Titel „Schatzhüterin“ besuchte, stieß im zugehörigen Katalog auf zahlreiche Texte von Wolfgang Brandis. Er war Mitglied der Expertenrunde zur historischen Erschließung und des wissenschaftlichen Beirats zur Ausstellung.

Wolfgang Brandis öffnet einen der beiden Archivschränke, in denen 600 Originalurkunden des Klosters gelagert sind. Bild: Stefan Korinth

Doch das, was in der Ausstellung gezeigt wurde, waren tatsächlich die Perlen aus den Klöstern. Der normale Bestand in den Archiven umfasst vor allem die schriftliche Darstellung von Wirtschafts- und Verwaltungsakten. „Verwaltungsschriftgut ist auf den ersten Blick oft öde“, sagt Brandis. „Aber die Wirtschaftsgeschichte der Klöster ist auch ein kaum erforschtes Gebiet.“ Am Ende eines mittelalterlichen Handels – etwa der Übertragung einer Wiese – stand eine Urkunde, erläutert der Archivar. Das Aktenzeitalter setzte erst im 16. Jahrhundert ein.

Die Urkunden wurden in Truhen in einem verschlossenen Raum aufbewahrt. Jede Urkunde hier ist ein Unikat. 600 davon aus der Zeit zwischen 1215 und 1600 lagern im Archiv des Klosters. Umso wichtiger ist auch die Restaurierung beschädigter Archivalien. „Früher lag vieles offen und ging langsam kaputt“, erläutert Brandis. Die Klosterkammer restauriert und konserviert die Stücke fachmännisch. Der Archivar ist froh über die kompetente Hilfe, mit der er in engem Austausch steht.

Auch die Gemeinschaft im Kloster vom Gärtner über die Sekretärin bis hin zu den derzeit zwölf Konventualinnen hebt Brandis im Gespräch oft hervor. „Wir sind ein sehr gutes kleines Team. Es ist toll hier zu arbeiten, ich fühle mich sehr zugehörig.“ Nicht nur die Gemeinschaft sondern auch die geschichtsträchtige Atmosphäre macht dies zu einem besonderen Arbeitsplatz. Brandis‘ Büro liegt direkt am Ostflügel. Dieser steht übrigens auch weiterhin stabil dank Helmeke Hornbostel, 33 Gulden und einem Paar englischer Hosen.          

Stefan Korinth
Diese prachtvolle Urkunde aus dem Jahr 1305 zählt zu den besonderen Archivalien in Wienhausen. Der Bischof von Hildesheim übertrug dem Kloster mit diesem Dokument eine Kapelle in Berkum. Bild: Stefan Korinth

Das Kloster Wienhausen

Eine wunderbar erhaltene mittelalterliche Klosteranlage und zahlreiche, von jahrhundertelangem christlichem Leben erzählende Kunstschätze prägen das Kloster Wienhausen in der Nähe von Celle.

So sehen es die Konventualinnen als ihre vordringliche Aufgabe an, Gebäude und Schätze des Klosters zu pflegen, zu bewahre sowie der interessierten Öffentlichkeit zu zeigen und zu erklären. Kloster Wienhausen ist auf diese Weise als ein Ort christlicher Verkündigung erkennbar und erlebbar. Auch wenn der Konvent in der Führungssaison jeden Freitag um 18 Uhr das gesungene Abendgebet hält, sind Gäste herzlich dazu eingeladen.

Das Kloster ist mit der evangelischen Kirchengemeinde eng verbunden, die Konventualinnen nehmen an den Gemeindegottesdiensten teil, eine Reihe von Veranstaltungen geschieht in Kooperation. So wird z. B. die Osternacht im komplett ausgemalten Nonnenchor des Klosters gemeinsam gefeiert. Die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers und der Kirchenkreis Celle sind immer wieder mit besonderen Veranstaltungen in den schönen Räumlichkeiten des Klosters zu Gast.

Kloster Wienhausen ist eines der sechs Klöster in der Lüneburger Heide. Wie die Klöster Ebstorf, Isenhagen, Lüne, Medingen und Walsrode ist es eine selbständige Körperschaft öffentlichen Rechts und untersteht dem Schutz und der Rechtsaufsicht des Landes Niedersachsen. Diese Aufgabe wird vom Landeskommissar für die Lüneburger Klöster, dem jeweiligen Präsidenten oder der Präsidentin der Klosterkammer Hannover wahrgenommen.

Gunnar Schulz-Achelis
Das Kloster Wienhausen. Bild: Stefan Korinth

Klosterkammerjubiläum in Wienhausen

Mit den Klöstern des Allgemeinen Hannoverschen Klosterfonds auf ihrem Gebiet präsentiert sich die Ev.-luth. Landeskirche Hannovers beim Klosterkammerfest am Samstag, 25. August im Wöltingerode: Kloster Wienhausen bietet eine Einführung in die Sticktechnik des traditionellen Klosterstichs. In einem Pagodenzelt des Klosters Wülfinghausen können Besucher und Besucherinnen unter Anleitung von Steinbildhauer Wilfried Behre Steine mit Hammer und Meißel selbst bearbeiten und erfahren etwas über eine klösterliche Bauhütte und Klosterapotheken. Bursfelde bietet persönliche Bibelworte und Segnungen an und Mariensee ermöglicht, dass man Bibelverse - wie einst die Mönche - in einem „Scriptorium“ abschreibt. Außerdem gibt es stündliche Führungen für Kinder durch die benachbarte Klosterkirche. Die Hannoversche und die Braunschweigische Landeskirche präsentieren sich in einem Zelt und gemeinsam mit den Klöstern werden Stundengebete zu jeder vollen Stunde angeboten, die stimmungsvoll mit Harfenmusik begleitet werden.

Mitfeiern in Wöltingerode!

Am 25. August 2018 präsentiert die Klosterkammer Hannover mit dem Landessportbund Niedersachsen, Antenne Niedersachsen und der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers und der Landeskirche in Braunschweig eine Festmeile in Wöltingerode. Von 11 bis 22 Uhr stehen Angebote für die ganze Familie auf dem Programm, der Eintritt ist frei.