„Die Rap-Musik war mein Anker“
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Im Interview: Die Rapkanone mit sechs Fingern – der HipHopper „Graf Fidi“ ist am 28. April der Stargast bei „Normal ist anders“ in Diepholz
Mitreißende Beats, blitzschnelle Reime, hübsches Gesicht, sechs Finger, tausend Ideen: Das ist „Graf Fidi“ aus Berlin. Seine Wortgewalt hat Witz und Biss. „Wenn Du sagst, ich bin ein Spast, bist Du ein Idiot“, rappt er in seinem Song „Klartext“. „Ich bin Graf Fidi, und kein leidendes Opfer / Ich bin wie jeder Mensch, der etwas im Kopf hat!“
Der HipHopper ist Rapkanone, Rollstuhlfahrer – und Stargast bei „Normal ist anders“, dem aktiven, kreativen, inklusiven Workshop-Tag für Jugendliche mit und ohne Behinderung, den der Kirchenkreisjugenddienst Diepholz gemeinsam mit der Lebenshilfe am Samstag veranstaltet.
Was erwartet die Teilnehmer? Wir haben den Musiker vorab interviewt.
Fidi, mal eben schnell für alle, die Dich nicht kennen: Wer bist Du, wie bist Du, und wie bist Du da hingekommen, wo Du heute bist?
Fidi: (lacht) Also, erst mal bin ich ein Mensch – wie jeder andere auch. Ansonsten bin ich Fidi, 37, Rapper. Ick bin jebürtich aus Berlin; neben der Musik habe ich soziale Arbeit studiert, lange in einer Kinder-und Jugendeinrichtung gearbeitet, seit Anfang diesen Monats bin ich Schulungsleiter und Dozent bei einem Pflegedienst in Berlin-Spandau, der sich speziell um Menschen mit Behinderungen kümmert. Dort unterrichte ich die Mitarbeiter über die Lebenswelt ihrer Kunden.
Zur Rap-Musik bin ich als Jugendlicher zusammen mit meinen Kumpels gekommen. Beeinflusst von vielen amerikanischen und den ersten deutschsprachigen Interpreten, habe ich dann selbst mit dem Rappen angefangen – gegen alle Widerstände meiner Familie und einiger Freunde, die anfangs meinten: „Das ist doch nur ein Hobby und eine Phase“. Ich hab weitergemacht. Und heute verdiene ich damit unter anderem sogar mein Geld – und es bringt mich bis nach Diepholz!
Du bist am Samstag der Stargast bei „Normal ist anders“. Dort wirst Du mit Deiner Musik auftreten und einen Kreativ-Workshop für Jugendliche leiten. Was kommt da auf Diepholz zu?
Fidi: Auf jeden Fall ein fantastischer Tag! Ich freu mich auf den Workshop, auf die Teilnehmer und ihre Ideen. Und die Teilnehmer können sich auf einen Auftritt von Graf Fidi mit einigen Überraschungen freuen. Denn ich werde nicht nur meine bekannten Stücke spielen, die der ein oder andere vielleicht schon von YouTube kennt, sondern auch neue Songs aus meinem bald erscheinenden Album, mit denen ich noch nie aufgetreten bin. Das wird eine ganz, ganz große Sause!
Du machst Musik, zu der man extrem gut feiern und tanzen kann. Aber bei vielen Songs sollte man auch mal auf den Text achten. Denn zwischen den Beat-Basteleien und witzigen Worttiraden stecken oft Themen, die gar nicht mal so leicht und lustig sind. Was sind das für Inhalte, mit denen Du Dich da beschäftigst?
Fidi: In erster Linie soll meine Musik natürlich schon Spaß machen. Man soll zu den Songs gut feiern und tanzen können. Aber dazwischen versuche ich – meist auf humoristische Weise – Inhalte zu packen, die zum Nachdenken anregen. Ich ziehe mich gerne selbst durch den Kakao, um Menschen Denkanstöße zu geben und sie aufmerksam zu machen. Gerade Menschen, die selbst keine Behinderung haben.
Wie bist Du selbst gewesen, als Du im Alter der Jungs und Mädchen warst, die jetzt an Deinem Workshop teilnehmen?
Fidi: Wie fast alle Teenager: Auf der Suche. Eigentlich weiß ich auch immer noch nicht ganz genau, wo die Reise hingeht, aber der Weg wird immer klarer. Und heute finde ich das gut – das ist ja auch das Interessante am Leben, dass man gucken, rumprobieren und Entscheidungen treffen muss und nie genau weiß, was der nächste Tag bringt. Aber damals war ich natürlich noch nicht so gelassen. Im Übergang von der Grundschule zur Gesamtschule hatte ich viel mit Mobbing zu kämpfen. Darauf habe ich heftig reagiert, habe wild um mich gehauen und meine Mitschüler beschimpft. Was nicht viel gebracht hat – die meisten sind irgendwann vor mir weggelaufen, oder es führte zu noch mehr Hänseleien. Alles änderte sich, als ich die Rap-Musik für mich entdeckte. Das war wie ein Anker, der mich erdete. Über das Texten fand ich zu mir. Ich schrieb meine Erlebnisse und Gefühle, wie andere Tagebucheinträge oder Gedichte schreiben. Der Rap gab mir die Chance, alles zu kanalisieren und Musik draus zu machen. Und ich machte die Erfahrung, dass ich damit andere Menschen zum Zuhören und Nachdenken bringen und sie sogar glücklich machen kann.
Warst Du damals auch schon so selbstbewusst und wortgewandt wie heute? Ist doch bestimmt eine Überwindung für einen Teenager, sich mit so persönlichen Texten rauszutrauen?
Fidi: Um die Frage richtig zu beantworten, müsste man jetzt wahrscheinlich mit meinen Eltern sprechen (lacht). Aber ein gewisses Selbstbewusstsein hatte ich schon. Ich mochte den Deutschunterricht, weil ich gerne Texte verfasst habe. Geschichten und Gedichte schreiben – das war immer mein Ding. Aber damit rauszugehen dauerte damals einfach länger; es war ja nicht so wie heute, dass Du gleich eine Plattform wie YouTube dafür hast. Ich habe schon zwei oder drei Jahre Texte geschrieben, bevor es richtig losging. Natürlich musst Du, wenn Du Rapper werden möchtest, schon eine Affinität dafür haben, Dich zu trauen, Dich vorne hinzustellen und Dich zu präsentieren. Ich kannte das von meiner Mutter, die in einem großen Orchester in Berlin Geige spielte; und ich habe auch schon selbst früh bei Aufführungen mitgemacht, beim Krippenspiel, im Schulchor gesungen… Ich hatte also kein Problem damit, im Rampenlicht zu stehen. Natürlich war ich vor meinen ersten Auftritten auch sehr aufgeregt, aber ich hab es trotzdem gemacht. Heute habe ich kein Lampenfieber mehr. Es ist eher eine Anspannung, die sich anfühlt, wie ein Kochtopf, in dem es brodelt, von dem einfach der Deckel genommen werden muss. Sobald ich den ersten Song spiele, bin ich in meinem Element.
Was erwartet die Teilnehmer in Deinem Musik-Workshop? Und worum geht’s Dir selbst dabei?
Fidi: Mir selbst geht‘s in erster Linie darum, dass die Jugendlichen Spaß haben. Und dass jeder die Möglichkeit hat, sich auf seine eigene Art auszudrücken – ob verbal oder nonverbal, indem er was schreibt oder performt oder zuhört oder tanzt oder zum Beat nickt oder einfach nur dabei ist. Aber was genau passiert – das wird die große Überraschung. Ich werde ein paar Beats, Instrumentale und einen Textkörper für einen Refrain vorbereiten. Mit allen einen Refrain zu machen hat den Vorteil, dass man das zusammen in der Gruppe macht und sich, wenn man schüchtern oder unsicher ist, auch ein bisschen in der Masse verstecken kann. Gerade für Leute, die noch nichts mit Musik gemacht haben, ist das am Anfang immer ein gutes Mittel, um reinzukommen. Aber es kann auch ganz anders laufen. Ich gucke erst mal, was die Jugendlichen interessiert. Wenn die eigene Ideen haben und alles komplett selber schreiben wollen, dann machen wir das. Wenn sie sich aber nicht so richtig trauen oder ihnen nichts einfällt, schlage ich was vor und wir sehen, ob sie Lust drauf haben.
Du bist der Promi bei der Veranstaltung. Einige angemeldete „Normal ist anders“-Teilnehmer haben im Familien- und Freundeskreis schon Autogrammwünsche abgefragt. Wie schätzt Du selbst eigentlich Deine Idol-Tauglichkeit ein? Eignest Du Dich als Vorbild für die Jugendlichen in Diepholz?
Fidi: Auf jeden Fall! Ich bin ein großartiges Vorbild! (lacht). Was Kinder und Jugendliche, die selbst eine Beeinträchtigung haben, von mir lernen können, ist, dass man seine Pläne und Träume erreichen kann. Wenn man etwas unbedingt will, dann sollte man es auf jeden Fall durchziehen. Bei mir hat’s auch geklappt. Man darf sich nicht entmutigen lassen, und man braucht sich auch nicht davor zu scheuen, sich bemerkbar zu machen – egal, ob man im Rollstuhl sitzt; einen, sechs oder zehn Finger hat oder ein drittes Auge auf der Stirn.
Und wer nicht behindert ist, der kann von mir lernen, dass es normal ist, verschieden zu sein. Und dass eine Beeinträchtigung nicht automatisch bedeutet, dass man irgendwas nicht machen kann – wie zum Beispiel fantastische Rap-Musik. Oder einen noch fantastischeren Workshop in Diepholz!
Miriam Unger