Weltweites Leuchten
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Andacht zum 2. Sonntag im Advent
Sie konnte ihren Blick nicht von ihm wenden. Zärtlich strich sie über seinen kleinen Kopf. Vorsichtig zeichnete sie den Haaransatz mit ihrem Finger nach. Seine Haare klebten auf der Kopfhaut. Getränkt vom Fruchtwasser, das ihn in den letzten Monaten umgeben hatte.
Sie spürte seine Wange auf ihrer Brust. Sein Kopf hob sich mit jedem ihrer Atemzüge. Sie entdeckte zwei feine Linien unter seinen Augen.
Seine schmale Nase stach etwas hervor aus seinem runden Gesicht. „Die hat er von seinem Vater“, dachte sie. Sie konnte ihm nicht in die Augen schauen. Seine Lider waren fest verschlossen. Das Licht der Welt hatte er nicht erblickt. Immer wieder wanderten ihre Blicke das kleine Gesicht ab. Sie hielt noch einmal die winzigen Finger in ihrer Hand. Strich über seine Füße.
Jedes Detail seines kleinen Körpers wollte sie festhalten. Mit jedem ihrer Blicke malte sie sich das Bild ihres kleinen Sohnes ganz tief in ihr Herz. Sie wollte ihn bei sich haben. Und musste ihn gehen lassen.
Sie hatte ihn durch den Geburtskanal gepresst, obwohl ihr eigentlich die Kraft dazu fehlte. Ihren Sohn auf die Welt bringen, um ihn zu beerdigen. Das konnte sie nicht. Geschafft hat sie es dann doch. Irgendwie.
Einige Wochen ist das nun her. Wochen, in denen die Tage immer kürzer wurden. Sie ging kaum vor die Tür. Am liebsten hüllte sie sich ein in die Decke ihrer Trauer. Der Advent zog an ihr vorbei. In ihrer Wohnung blieb es dunkel.
Doch am Tag vor dem zweiten Advent hatte sie eine Postkarte im Briefkasten gefunden. Auf der Vorderseite: Eine brennende Kerze, die warmes Licht verströmte. Sei-Mutig-Post von ihrer Schwester. Woche für Woche ein Brief. Und jetzt diese Karte: „Sonntagabend um 19 Uhr werde ich eine Kerze auf meine Fensterbank stellen. Das Licht wird Teil der Lichterwelle sein, die sich um die Erde zieht. Weltweites Erinnern an verstorbene Kinder.“
Der Pastor hatte im Krankenhaus eine Kerze angezündet, als sie sich verabschieden mussten von ihrem Sohn. „Jesus Christus spricht: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt“, hatte er dabei gesagt. Diese Kerze nahm sie jetzt aus dem Regal, zündete sie an und stellte sie ins Fenster. Sie schaute zu, wie das Licht der Kerze immer heller wurde. Sie spürte die Wärme in ihrem Gesicht. Noch lange brannte die Kerze an diesem Abend auf dem Fensterbrett und tauchte ihr Wohnzimmer in ein weiches Licht. „Ein Anfang“, dachte sie.
Pastorin Elsa Höffker