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Bei den Orgelentdeckertagen erleben Kinder ein altes Instrument auf neue Weise
Als die Orgel loslegt, lauschen 36 Kinderohren ganz gebannt: Sehr leise, sehr zart und sehr hoch ist der erste Ton, den Joachim Vogelsänger dem Instrument entlockt und den er gleich zur Melodie ausweitet. „Das kenne ich, das ist aus der Sendung mit der Maus“, ruft Janosch (5) begeistert. Der Mann, der die bekannte Kindermelodie spielt, nickt. „Richtig, das ist die Babymaus“, sagt der Kirchenmusikdirektor und verspricht: „Jetzt kommen Papa, Mama und Opa Maus dazu.“ Laute und leise, hohe und tiefe, klare und scheppernde Töne – das klingt wie eine große Mäusefamilie. Die Maus-Melodie gehört sicher nicht zum üblichen Musikrepertoire, das in der altehrwürdigen Lüneburger St. Johanniskirche erklingt. Aber: Es sind auch nicht die üblichen Zuhörerinnen und Zuhörer, die Joachim Vogelsänger an diesem Morgen lauschen. Die Kinder des Kindergartens St. Johannis machen eine Entdeckungsreise zur Orgel – und haben dabei jede Menge Aha-Erlebnisse.
Veranstaltet werden die Orgelentdeckertage, an denen landesweit 18 Kirchen beteiligt sind, vom Musikvermittlungsprojekt VISION KIRCHENMUSIK und der Orgelakademie Stade. Die Lüneburger St. Johanniskirche war schon bei der Premiere im vergangenen Jahr dabei, nun hat Kirchenmusikdirektor Joachim Vogelsänger neben Grundschulkindern erstmals einen Kindergarten zu Besuch. „Mit älteren Kinder kann ich tiefer in die Musikgeschichte eintauchen“, sagt er, „aber die Töne, die eine Orgel hervorbringt, sind für jedes Alter faszinierend.“
Doch zunächst müssen die Ohren warten. Vogelsänger postiert sich mit seinen jungen Gästen im Kirchenschiff und nimmt das imposante Instrument von dort aus in Augenschein. Schließlich handelt es sich nicht um irgendeine, sondern um die berühmte „Bach-Böhm“-Orgel aus dem 16. Jahrhundert. „Die ist 464 Jahre alt, so alt wird kein Mensch“, stellt Vogelsänger klar. Und er hat noch eine Zahl: Aus 3.865 Pfeifen besteht die Orgel: „Die meisten sieht man nicht, die stecken innen drin.“ Mehr als für Zahlen interessieren sich die Kinder für die vielen Figuren und prachtvollen Verzierungen. Mit gereckten Hälsen zählen sie auf, was sie sehen: Sonne, Mond und viele „Engel, die Musik machen.“ Joachim Vogelsänger erklärt: „Engel sind ganz nah bei Gott. Sie machen Musik, um Gott zu danken, dass er uns ganz toll gemacht hat.“
Dann geht es hinauf zur Empore: Die Steintreppe fasziniert die Jungen und Mädchen, schließlich ist sie steil, alt, und eng. Dass hier einst der 15-jährige Orgelschüler Johann Sebastian Bach hinaufstieg, erzählt Vogelsänger nebenbei: „Der hat die schönste Orgelmusik geschrieben, die es gibt.“
Als der Musiker auf der Orgelbank Platz nimmt und ihm die Kinder dicht auf die Pelle rücken dürfen, ist die Scheu komplett verflogen: Sie ziehen an den „dicken Knöpfen“ rechts und links und lauschen, wie sich der Klang verändert. Sie staunen, dass man auch mit den Füßen spielen kann und singen mit Orgelbegleitung „Halte zu mir, guter Gott“. „Du kannst ganz gut Orgel spielen“, attestiert Emma (5) dem Kirchenmusikdirektor zum Abschluss. Mit Emily (4) ist sie sich einig: „Orgel ist cool. Das will ich auch lernen.“
Ute Klingberg