Ein Bett für eine Nacht
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Sykerin bietet seit fast zehn Jahren Pilgern auf dem Jakobsweg eine Unterkunft
Geschäftig hantiert Andrea Gudehus-Ochmann in der Küche und bereitet das Abendessen: Käse, Salamiwurst, Gurke, ein paar Scheiben Brot. "Möchten Sie Möhrensuppe?", ruft die 57-Jährige durch die offene Terrassentür: "Wir teilen das, was da ist", stellt sie klar. Draußen sitzt Adelheid Lammers (67) in einem Gartenstuhl. Erst am Nachmittag haben sich die beiden Frauen kennengelernt und schon morgen früh werden sich ihre Wege wieder trennen. Für eine Nacht kommt Lammers bei Gudehus-Ochmann in Syke unter. Sie und ihr Mann öffnen seit fast zehn Jahren ihr Haus für Pilger auf dem Jakobsweg.
Der rote Klinkerbau liegt am Waldrand, idyllisch mit großem Garten. Keine 200 Meter entfernt, an der nächsten Straßenkreuzung verläuft der berühmteste Pilgerweg der Welt. Auf dem Pfosten eines Straßenschildes und oben links auf der Haustür der Gudehus-Ochmanns findet das geübte Auge den einzigen, ziemlich kleinen Hinweis: Die stilisierte gelbe Jakobsmuschel auf blauem Grund.
Genaugenommen, ist der Abschnitt in Syke nur ein winziger Teil eines Teilstückes, nämlich des Baltisch-Westfälischen Weges (via baltica) von Usedom bis Münster. Denn "der" Jakobsweg ist mittlerweile ein riesiges Netz von Wegen in ganz Europa, das mehrere Zehntausend Kilometer umfasst. Die ursprüngliche Strecke, der "Camino Frances" durch Nordspanien von Puente la Reina bis zum Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela ist rund 800 Kilometer lang. Sie wurde schon vor mehr als 1.000 Jahren von Pilgern genutzt.
"Ich bin so freudig überrascht, dass ich hier mit so viel Wärme aufgenommen werde", schwärmt Neu-Pilgerin Lammers. Sie hatte sich erst drei Tage zuvor bei ihrer jetzigen Gastgeberin nach einem Nachtlager erkundigt. "Mehr brauche ich ja eigentlich nicht. Pilger haben nämlich immer alles dabei." Gudehus-Ochmann hat zugesagt. "Wir haben viel Platz, unsere Kinder sind aus dem Haus und ich habe gern Menschen um mich." Deshalb hat sich das Ehepaar 2009, als die via baltica eröffnet wurde, entschieden, Pilger aufzunehmen.
Während es in Spanien und auch Frankreich überwiegend die klassischen Pilgerherbergen mit vielen Betten für eine immer größer werdende Anzahl von Pilgern gibt, geht es auf dem deutschen Jakobsweg eher beschaulich und familiär zu. Pilgerunterkünfte in Gemeinde- oder Pfarrhäusern, in Pensionen oder eben bei Privatpersonen sind die Regel. Den Stempel für den Pilgerausweis können sich die Rucksack-Bepackten in den Kirchengemeinden holen - oder eben direkt bei Andrea Gudehus-Ochmann: "Bartholomäus Kirche Barrien. Am Jakobsweg" steht dann darin.
Die Nacht im frisch bezogenen Bett in dem kleinen Zimmer mit Badezimmer kostet fünf Euro - inklusive Abendessen und Frühstück. "Bedingung ist: Jeder bleibt nur eine Nacht und ist zufrieden mit dem, was da ist." Die Kontaktdaten der Privatquartiere finden Interessierte wie Adelheid Lammers über die am Wege liegenden Kirchengemeinde oder in Pilgerführern über die "via baltica".
Die Bremerin ist erst am Morgen quasi direkt vor der Haustür in Weyhe gestartet und hat ihre erste Etappe zur Eingewöhnung mit neun Kilometern bewusst klein gehalten, später sollen es bis zu 20 werden. Die ehemalige Beraterin in einem Schulbuchverlag hat sich über ein Jahr lang mit dem Gedanken getragen, "ihren" Jakobsweg zu gehen. Sie hat Packlisten studiert, You-Tube-Videos geschaut, trainiert. Dann ist vor wenigen Wochen ihr Bruder gestorben. "Da stand es fest, jetzt starte ich."
Das sei ganz häufig so, sagt Kirchenvorsteherin Gudehus-Ochmann. Viele Menschen pilgerten nach einschneidenden Ereignissen, einer Krankheit oder einem Trauerfall. Die meisten, die bei ihr unterkämen, seien Menschen jenseits der 50. Eine solche Anziehungskraft wie der Camino in Spanien übe die Region zwischen Bremen und Osnabrück zwar nicht aus. Aber rund 25 Gäste pro Jahr beherbergt die Familie durchaus.
Fremden Menschen so viel Vertrauen entgegen zu bringen, sei manchmal eine ganz schöne Herausforderung, räumt die Gastgeberin ein. Dennoch sind ihre Erfahrungen fast durchweg positiv. "Ich hatte viele gute Begegnungen und Gespräche." Einmal haben sie und ihr Mann sogar mit zwei Pilgern bis in die Nacht hinein zusammengesessen und die Reste einer Familienfeier verzehrt. Und doch bleibt es dabei: Am nächsten Morgen trennen sich ihre Wege. "Nur manchmal begleite ich die Pilger morgens nach dem Frühstück noch ein Stück."
Martina Schwager/ epd