"Salam" am Harzrand
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In dem kleinen Dorf Wollershausen ist jeder sechste Einwohner ein Flüchtling
Locker schlendert der aus dem Iran stammende 13-jährige Sehpr die Dorfstraße entlang. "Moin", ruft er herüber und hebt dabei lächelnd die Hand. Der evangelische Pastor Jens-Arne Edelmann erwidert den Gruß von der anderen Straßenseite in der Sprache des Iraners: "Salam!" In dem kleinen, rund 460 Einwohner zählenden Ort Wollershausen am Harzrand hat sich vieles geändert. Vor zwei Jahren wurden dort überraschend rund 130 Flüchtlinge untergebracht. "Das war eine große Sache, und es stellte sich die Frage, wie so ein kleines Dorf damit umgeht", sagt Edelmann.
Seit der sogenannten Flüchtlingskrise nutzt der Landkreis Göttingen die Nebengebäude des historischen Wasserschlosses als Sammelunterkunft - derzeit leben etwa 80 Flüchtlinge dort. Dass man sich im Dorf grüßt, haben die "Neu-Wollershäuser" schnell gelernt, sagt Edelmann schmunzelnd, während Sehpr sich vor der Kirche zu ihm stellt. Nach und nach kommen immer mehr Flüchtlinge die Dorfstraße entlang. Pastor Edelmann will eine kleine Führung durch den historischen Kirchenraum machen. Auch ein paar Dorfbewohner sind dabei.
Ortsbürgermeister Ulrich Schakowske (SPD) erinnert sich noch gut an die Situation, als im Jahr 2015 kurzfristig zunächst in der Turnhalle eine Notunterkunft eingerichtet wurde. Wie überall hatten auch in Wollershausen einige Dorfbewohner zunächst Bedenken. Gleichzeitig gab es zahlreiche Ehrenamtliche, die sich geduldig für die Integration einsetzten. Schnell wurde eine Kleiderkammer eingerichtet oder eine Hausaufgabenhilfe angeboten. Andere begleiteten die Flüchtlinge zu Arztbesuchen.
Aus Sicht des niedersächsischen Flüchtlingsrats sind Ballungen von Asylsuchenden im ländlichen Raum inzwischen wieder eher eine Seltenheit. "Da, wo es sie gegeben hat, werden sie mehr oder weniger aufgelöst", sagt Geschäftsführer Kai Weber. In dem 100 Einwohner zählenden Ort Sumte nahe der Elbe etwa lebten zwischenzeitlich rund 1.000 Asylbewerber. In Ehra-Lessien bei Gifhorn trafen zeitweise 800 Flüchtlinge auf 400 Einwohner.
Obwohl er die Unterbringung in Dörfern ohne verkehrstechnische Anbindung kritisch sehe, sei die Hilfe vor Ort sicher direkter, räumt Weber ein. "Natürlich lässt sich einiges kompensieren, wenn eine Bindung an die örtliche Bevölkerung da ist." So könne ein fehlender Bus durch Mitfahrgelegenheiten von Dorfbewohnern ersetzt werden. Beispiele wie Ehra-Lessien hätten gezeigt, dass die Bevölkerung sehr viel beisteuern könne, weil sie die Problematik der Flüchtlinge besser kenne.
Auch in Wollershausen klappt die direkte Hilfe. Einigen Flüchtlingen konnten bereits Wohnungen vermittelt werden. Auch die "Neu-Wollershäuser" packen mit an, helfen bei gemeinsamen Festen oder putzen auch mal die Kirche. Einige Iraner haben bei Pastor Edelmann einen Taufkurs absolviert und wurden im Frühjahr getauft. Regelmäßig besuchen sie nun am Sonntag den Gottesdienst. Die Predigt wird dabei leise von einem Dolmetscher übersetzt. Das störe keinen, sagt Edelmann. Im Gegenteil: "Immer öfter sitzen Flüchtlinge und Einheimische gemeinsam in einer Kirchenbank."
Für die neuen Bewohner wie den 43-jährigen Mehdi ist jedoch ungewiss, wie lange sie noch bleiben. Seit fast einem Jahr lebt er mit seiner Familie in dem kleinen Dorf im Harzvorland. Immer noch warten sie auf einen Termin bei den Behörden, der über ihr Bleiberecht entscheiden soll. Wie die meisten möchten sie dann in eine größere Stadt ziehen, sagt Mehdi, während unweit der Kirche die Kühe muhen. Vor ihrer Flucht lebten sie in einer Metropole mit rund drei Millionen Einwohnern.
Trotz der Wartezeit ist der Familienvater vor allem dankbar dafür, dass sie in Wollershausen in Sicherheit sind. "Ich weiß nicht, wann wir hier weg können, aber wir werden niemals vergessen, was Wollershausen für uns getan hat."
Charlotte Morgenthal (epd)