Startseite Archiv Tagesthema vom 27. Juli 2017

Touchdown 21

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Behinderte und nichtbehinderte Menschen führen gemeinsam durch die Ausstellung "Touchdown"

Sie hat schon auf der Bühne gestanden und ein Schulprojekt moderiert. Aber was in den nächsten 90 Minuten auf sie zukommt, das ist für sie neu: Sara Lührs führt im Tandem mit Frank Warneke in der Bremer "Galerie im Park" eine Besuchergruppe durch "Touchdown". Es ist die weltweit erste Ausstellung über die Geschichte des Down-Syndroms. Das Besondere bei der Führung: Die 24-Jährige hat selbst das Down-Syndrom, ihr 55-jähriger Partner nicht. Ob sie aufgeregt ist? "Klar", sagt sie. "Aber das gehört dazu."

Die Besucher sind Schüler einer Fachoberschule, sachkundiges Publikum. Frank Warneke und Sara Lührs stellen sich zunächst gegenseitig vor. Dann geht es in den ersten Teil der Ausstellung. Lührs hat Spickzettel vorbereitet, die sie vorliest - alles in klarer Sprache: einfache Sätze, langsam gesprochen, Fremdwörter werden sofort erklärt. Sie erzählt etwas über Liebe, Verlobung und Heirat, Themen, die ihr wichtig sind. "Ich habe einen Freund und möchte auch gerne heiraten", sagt die junge Frau.

"Was Menschen mit Down-Syndrom können und wie sie leben, ist in der Öffentlichkeit noch sehr wenig bekannt", sagt Katja de Bragança, Humangenetikerin, Down-Syndrom-Expertin und Mit-Kuratorin der Schau, die in Bremen bis zum 27. August läuft. In Deutschland leben rund 50.000 Menschen mit dem Down-Syndrom. Bei ihnen ist das 21. Chromosom dreimal statt zweimal vorhanden. Daher wird die Behinderung auch als Trisomie 21 bezeichnet.

Erste Station der Wanderausstellung war die Bundeskunsthalle in Bonn, wo etwa 35.000 Besucher kamen. Die Ausstellungsmacher leisteten in mehrfacher Hinsicht Pionierarbeit. Erstmals nahmen sie die Geschichte der Menschen mit Down-Syndrom in den Blick und zogen dabei auch Betroffene als Experten in eigener Sache hinzu - die nun auch durch die Ausstellung führen.

Sara Lührs (24) und Frank Warneke (55) führen durch die Ausstellung "Touchdown". Bild: Dieter Sell

Es scheint, als ob Sara Lührs diese Rolle auf den Leib geschrieben ist. "Sie ist ehrgeizig und spielt gerne Theater", meint ihre Mutter Kerstin Lührs. Und in der Tat: Wer Sara Lührs während der Führung zuhört, erlebt eine lebendig erzählende, oft spontane junge Frau. Kaum zu glauben, dass die Ärzte nach der Geburt voraussagten, dass sie nicht alt werden und niemals laufen lernen würde. "Das hat uns umgehauen", erinnert sich Kerstin Lührs. Und ihre Tochter ergänzt: "Das war ein Schock für meine Eltern, dass ich bald sterben sollte."

Die Ausstellung zeigt selbstbewusste und emanzipierte Leute mit Down-Syndrom - Menschen wie Sara Lührs. Sie geben Einblicke in ihr Leben, die manches Vorurteil geraderücken dürften. In Steckbriefen erzählen sie über Arbeit und Hobbies. Viele treiben Sport oder wohnen selbstständig, hören Musik. "Ich bin auch ein Fan von Musik", kommentiert Sara Lührs.

Doch so fröhlich war das Leben für behinderte Menschen nicht immer. Auch das düstere Kapitel der Euthanasie während der Zeit des Nationalsozialismus wird in der Ausstellung behandelt. Rund 100.000 behinderte Menschen wurden in den sogenannten Pflegeheimen der Nazis in Deutschland und Österreich ermordet. Grausige Relikte dieser Zeit sind mit Namensschildern beschriftete Gläser, in denen einst Gehirne von Menschen mit Down-Syndrom aufbewahrt wurden. "Die Nazis sind ganz fiese und böse Menschen", schimpft Sara Lührs. 

Schwierigkeiten hatten die Kuratoren, als sie sich auf die Suche nach Spuren in der früheren Geschichte machten. Viel fanden sie nicht. Hier werde deutlich, dass die Vergangenheit fast immer als eine Geschichte von Menschen ohne Behinderungen dargestellt worden sei, meinen die Ausstellungsmacher. 

Auch Themen wie vorgeburtliche Diagnostik und Schwangerschaftsabbrüche klammert die Ausstellung nicht aus. Sara Lührs hat da eine klare Meinung: "Schwangerschaftsabbruch ist Ermordung für das Kind. Dann ist das Kind nämlich tot."

Nach 90 Minuten ist die Führung zu Ende. Eine zeitliche Punktlandung. Warneke und Lührs verbeugen sich. Sie sei erschöpft, meint die junge Frau. Aber glücklich, das verrät ihr Lächeln. Es gibt Applaus, die Gäste sind begeistert. Sie habe eine Führung mit einem behinderten und einem nichtbehinderten Menschen noch nie erlebt, resümiert Besucherin Isabelle Warnecke (20). "Das eröffnet ganz andere Blickwinkel und gibt die Chance, das Thema besser wahrzunehmen."

Dieter Sell (epd)
Im Wechsel mit ihrem nichtbehinderten Partner präsentiert Sara Inhalte und kommentiert aus eigenen Erfahrungen, was zu sehen ist. Bild: Dieter Sell

TOUCHDOWN 21

TOUCHDOWN 21 ist ein Forschungs-Projekt.
Ein Forschungs-Projekt mit und über Menschen mit Down-Syndrom.
Wir sammeln Informationen.

Wir wollen das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten.
Und wir wollen Menschen zusammenführen, die dieses Thema beschäftigt.

Bild: Dieter Sell

Down-Syndrom

Beim Down-Syndrom handelt es sich nicht um eine Krankheit, sondern um eine unveränderbare genetische Besonderheit. Anstatt der üblichen 23 Chromosomen-Paare in allen menschlichen Zellen, weisen die Zellen der Menschen mit Down-Syndrom ein zusätzliches Chromosom auf: Das Chromosom 21 ist bei ihnen dreifach vorhanden. Deswegen wird das Syndrom auch "Trisomie 21" genannt. Kinder mit diesem genetischen Defekt sind in ihrer geistigen Entwicklung gestört. Doch wie sehr das zusätzliche Chromosom die Betroffenen einschränkt, das kann sehr unterschiedlich sein.

Das Down-Syndrom gibt es überall auf der Welt und bei allen ethnischen Gruppen und Bevölkerungsschichten. Weltweit leben nach Schätzungen rund fünf Millionen Menschen mit dem Down-Syndrom, in Deutschland etwa 50.000. Eine Trisomie hat jedes 600. bis 700. Kind. Wenn heute in Deutschland die vorgeburtliche Diagnose "Trisomie 21" im Raum steht, lassen neun von zehn Frauen das Kind abtreiben. Statistisch gesehen steigt die Wahrscheinlichkeit, ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen, mit dem Alter der Mutter.

Wohnen und arbeiten in den Rotenburger Werken

Die Rotenburger Werke sind da für Menschen mit einer geistigen Behinderung. Körperliche und seelische Handicaps können dazu kommen. Auch Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung finden dort ein umfangreiches Angebot.

Sowohl stationär als auch ambulant bekommen Menschen dort Hilfe - im nördlichen Niedersachsen in Rotenburg, Unterstedt, Scheeßel, Falkenburg,
Visselhövede und Harsefeld.