Startseite Archiv Tagesthema vom 17. März 2017

Mit "Balu und Du" besser ins Leben starten

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Mentorenprogamm soll benachteiligten Kindern bei Startschwierigkeiten helfen

Christian (15) und Felix (35) sind Freunde. Dabei wollte Christian den so viel Älteren eigentlich gar nicht kennenlernen. Erwachsene seien uncool, fand er damals, vor fünf Jahren. Mit einem unmissverständlichen "Du kannst wieder gehen", hat er Felix an der Wohnungstür abgefertigt. Seine Mutter ist alleinerziehend und fand, ein wenig männliche Unterstützung täte ihrem Sohn gut. Felix ging nicht und wurde Christians Mentor. Felix Weber und Christian Holste waren Teilnehmer des Mentorenprogramms "Balu und Du". 

Ein Jahr lang trafen sie sich einmal pro Woche, gingen zum Schwimmen oder Schlittschuhlaufen, kochten gemeinsam, bauten einen Bumerang, fuhren freihändig Fahrrad oder sahen sich Filme im Kino an. Felix war damals Student, Christian besuchte die Grundschule. Eine typische Kombination. 

"Heute bin ich froh darüber, dass Felix geblieben ist", sagt Christian. Mit gekreuzten Beinen sitzt er auf dem Sofa in der Wohnung seines großen Freundes in Osnabrück und wiegt ziemlich routiniert Felix' drei Monate alten Sohn Kasimir auf dem Schoß. 

Seit dem Start des Programms 2002 sind bundesweit mehr als 8.600 Balu-und-Du-Gespanne vermittelt worden. Seinen Namen hat das Programm vom Bären Balu aus dem Dschungelbuch von Rudyard Kipling, der sich um das Menschenkind Mogli kümmert. Erfunden haben es damals Wissenschaftler in Osnabrück und Köln.

Felix Weber (35) mit Sohn Kasimir und Christian Holste (15). Bild: Detlef Heese/ epd-Bild

Der Bonner Wirtschaftswissenschaftler Fabian Kosse und seine Kollegen haben das Programm analysiert. Danach können vor allem benachteiligte Kinder von der ungeteilten Aufmerksamkeit profitieren, die ihnen ein junger, ehrenamtlich engagierter Erwachsener entgegenbringt. "Das Programm kann ungleiche Startchancen bei Kindern ausgleichen und die Kluft zwischen Arm und Reich verringern." 

Je eher Menschen einander vertrauen, je empfindsamer und uneigennütziger sie sind, desto besser funktionieren Gesellschaften, sagen Kosse und Projektleiter Professor Armin Falk. Sie fassen diese Eigenschaften in dem Begriff "prosozial" zusammen. Auch die Menschen selbst, so haben sie gemessen, sind umso glücklicher je prosozialer sie sind. Kosse und Falk folgern, dass Prosozialität auch die Erfolgschancen in der Schule und später auf dem Arbeitsmarkt erhöht. 

Im Rahmen ihrer Studie haben die Forscher das prosoziale Verhalten von mehr als 700 Kindern untersucht. Dabei bekam ein zufällig ausgewählter Teil der Kinder einen "Balu" zugewiesen, die anderen nicht. 

Erstes Ergebnis: Bevor sie den Mentor bekamen, waren Kinder aus benachteiligten Familien deutlich weniger prosozial als Kinder aus bevorzugten Familien. Zweites Ergebnis: Nach einem Jahr "Balu und Du" hatten die benachteiligten Kinder den Rückstand komplett aufgeholt. Und es kommt noch besser: "Dieser Effekt ist auch nach mehreren Jahren noch genau so groß." Deshalb fordern die Forscher, dass in ganz Deutschland viel mehr Grundschulkinder einen Mentor bekommen sollten.

Als Teilnehmer des Mentorenprogramms "Balu und Du" trafen sich Felix und Christian einmal pro Woche zu verschiedenen Unternehmungen. Bild: Detlef Heese/ epd-Bild

Auch Christian hat von "Balu und Du" profitiert - sagt jedenfalls sein Balu Felix. Der Familienvater ist stolz, dass Christian sein Leben jetzt so gut im Griff hat. "Der ist ja schon ein richtiger junger Mann." Christian protestiert: "Ich hatte mein Leben eigentlich schon immer im Griff", weist er den Älteren grinsend zurecht. Der 15-Jährige findet es vor allem cool, "dass man mit Felix ganz viel Blödsinn machen kann". Außerdem habe der ihn drauf gebracht, dass er statt Polizist ja auch Tischler werden könnte. "Das war, als wir das Gewürzregal gebaut haben", erinnert sich Christian.

Heute gehören Felix und Christian schon fast zur Familie des jeweils anderen. Das Mentorenprogramm ist längst zu Ende. Doch mindestens einmal im Vierteljahr treffen die beiden sich noch immer. Felix wurde im vergangenen Jahr Christians Taufpate. Kürzlich half er, als Christians Mutter den Keller entrümpelt hat. Christian wiederum hat Felix' neues Smartphone eingerichtet. Und im vergangenen Jahr haben sie gemeinsam eine einwöchige Städtetour unternommen - nach Berlin und dann mit dem Flugzeug von dort nach Frankfurt am Main. "Das war mein erster richtiger Urlaub und meine erste Flugreise", schwärmt Christian.

Martina Schwager (epd)
Inzwischen Freunde: Christian und Felix mit Christians Sohn Kasimir. Bild: Detlef Heese/ epd-Bild

Balu und du

Das bundesweite Mentorenprogramm Balu und Du fördert Grundschulkinder im außerschulischen Bereich. Junge, engagierte Leute übernehmen ehrenamtlich mindestens ein Jahr lang eine individuelle Patenschaft für ein Kind. Sie helfen ihm durch persönliche Zugewandtheit und aktive Freizeitgestaltung, sich in unserer Gesellschaft zu entwickeln und zu lernen, wie man die Herausforderungen des Alltags erfolgreich meistern kann.

Armuts-Höchststand

Die Armut in Niedersachsen und Bremen hat nach Angaben des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes einen neuen Höchststand erreicht. Seit der ersten Erhebung 2005 seien in beiden Ländern noch nie so viele Menschen von Armut betroffen gewesen wie heute, sagte die niedersächsische Vorsitzende des Verbandes, Birgit Eckhardt zum aktuellen Armutsbericht. Unterdessen forderte der Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen, Christoph Künkel, ein gesellschaftliches Umdenken, um Armutsursachen entgegenzuwirken.

Zwischen der Nordsee und dem Harz liegt die Armutsquote dem Bericht zufolge bei 16,5 Prozent - bundesweit sind es 15,7 Prozent. 

Trotz einer guten wirtschaftlichen Gesamtlage setzte sich die Armut in der Gesellschaft fest, kritisierte Eckhardt. Weit überdurchschnittlich litten Alleinerziehende darunter - rund die Hälfte von ihnen sei betroffen. Leidtragende seien vor allem deren Kinder, weil ihnen die soziale Teilhabe und eine vielfältige Bildung verwehrt werde, wie sie für Kinder aus wohlhabenderen Familien normal sei. "So verfestigen sich schlechte Bildungschancen, was wiederum das Risiko erhöht, als Erwachsener in prekären Arbeitsverhältnissen und Armut zu landen."

Diakonie-Sprecher Künkel forderte mehr staatliche Hilfen für arme Familien. Nötig sei unter anderem mehr Geld, um Kindern vernünftige Schulmaterialien kaufen zu können. Außerdem sprach er sich für eine auskömmliche Kindergrundsicherung aus. Der Experte warnte weiter vor einer schleichenden Altersarmut. In Niedersachsen seien 17,5 Prozent der Frauen von Altersarmut bedroht. "Eine Politik, die armutsfeste Renten im Blick hat, ist unabdingbar."

epd