"Ich habe ein verbranntes Gesicht - Na und?"
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Säure-Opfer Vanessa Münstermann gründet Hilfsverein für entstellte Menschen
Vanessa Münstermann gibt nicht auf. "Ich habe ein verbranntes Gesicht - na und? Ich fühle mich trotzdem schön", sagt die 28-Jährige aus Hannover. Vor einem Jahr wurde sie durch eine Säure-Attacke ihres Ex-Freundes im Gesicht schwer verletzt. Zahlreiche Operationen musste sie über sich ergehen lassen.
Doch jetzt will sie ihre Erfahrungen für andere Menschen einsetzen, die ein ähnliches Schicksal erlitten haben. Gemeinsam mit Freunden und Unterstützern gründete sie den Verein "AusGezeichnet".
"Ich bin zwar gezeichnet, aber dadurch auch ausgezeichnet", sagt sie mit Anspielung auf den Vereinsnamen. Es sei "ein Verein von Entstellten für Entstellte". Rund 18.000 Brandopfer gibt es nach Vereinsangaben in Deutschland pro Jahr. Viele davon litten unter Entstellungen. "Die Leute zeigen sich im Gegensatz zu Vanessa nicht öffentlich, weil sie Angst haben und sich schämen", erläutert Vereinssprecher Jens Hauschke. "Ein Ziel des Vereins ist es, die Leute aus der Anonymität zu holen."
Der 15. Februar 2016 war der Tag, der für die gelernte Kosmetikerin alles veränderte. Damals hatte sie sich gerade von ihrem Ex-Freund getrennt. Doch Daniel F. (33) lauerte ihr frühmorgens auf, schüttete ihr ätzenden Rohrreiniger mit Schwefelsäure ins Gesicht. Vanessa Münstermann wurde lebensgefährlich verletzt. Die Ärzte versetzten sie zwölf Tage in ein künstliches Koma. Es folgten Behandlungen mit Morphium und Operationen. Sie verlor ein Ohr und ein Auge. Ihr Gesicht, ihre Hände und ihr Dekolleté sind mit Narben übersät. Lebenslang wird sie unter den Folgen zu leiden haben.
Doch die junge Frau zeigt sich kämpferisch: "Ich will mich nicht verstecken", betont sie immer wieder. Ihr Schicksal habe ihr auch ihre Stärken bewusstgemacht. Die Hilfe und die Gebete von Freunden und Unterstützern gäben ihr große Kraft. Nur weil sie nicht so aussehe wie andere Menschen, sei sie nicht weniger wert. Deshalb versucht sie nicht, ihre Narben zu verbergen. "Manche Leute kaufen sich schicke Markenklamotten, um herauszustechen", sagt sie. "Ich steche auch so hervor."
Vanessa Münstermann kennt aber auch dunkle Stunden. Immer wieder wandern ihre Gedanken zu jenem Morgen, der ihr Leben aus der Bahn warf. Sie muss sich mit komplizierten Rentenbescheiden herumschlagen. Und sie wird keine Erwerbsarbeit mehr ausüben können. Sie hat auch Angst vor dem Tag, an dem ihr Peiniger wieder aus dem Gefängnis entlassen wird. Daniel F. wurde vom Landgericht Hannover wegen schwerer Körperverletzung zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Sein Anwalt hat Revision eingelegt.
Ihr Verein erfüllt Vanessa Münstermann mit neuem Sinn. Sie und ihre Mitarbeiter wollen Opfer von Entstellungen und ihre Angehörigen durch Austausch und Gespräche sowie durch konkrete finanzielle Hilfe unterstützen. Nötig sei vor allem die Betroffenen psychisch zu stabilisieren. Dafür hoffen sie auf Spenden. Der Verein wolle eine Lücke schließen, sagt Sprecher Jens Hauschke: "Als Vanessa damals aus dem Krankenhaus kam, gab es niemanden, der ihr zurück ins Leben geholfen hätte." Sie selbst will die neue Aufgabe mit aller Kraft anpacken: "Wenn ich nur eine Person aus dem Haus kriege, dann habe ich schon mein Ziel erreicht."
Michael Grau (epd)