Startseite Archiv Nachricht vom 30. Oktober 2022

Landesbischof: Schmährelief entfernen und zerstören

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Hannover. Der evangelische Landesbischof Ralf Meister hat sich für die Entfernung und Zerstörung der „Judensau“ an der Fassade der evangelischen Stadtkirche Wittenberg ausgesprochen. „Man sollte sie nicht nur entfernen, sondern radikal vernichten, zerstören und kaputt machen“, sagte Meister am Sonntagabend in der Marktkirche in Hannover. Dies sei der richtige Umgang mit einer fehlgeleiteten, vernichtenden Ästhetik. Meister reagierte damit auf den Vorschlag des Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, derartige Skulpturen ins Museum zu stellen. Beide diskutierten am Vorabend des Reformationstages bei der Veranstaltung „Was gesagt werden muss. Judentum und Reformation“.

Der Wittenberger Gemeindekirchenrat hatte am Mittwoch nach jahrelangem Streit bekannt gegeben, dass die judenfeindliche Schmähplastik aus dem Mittelalter an Martin Luthers Predigtkirche nicht entfernt werden, sondern als Mahnstätte und Lernort erhalten bleiben soll. „Als wenn wir sonst nicht genug Lernorte hätten“, kommentierte Meister diese Entscheidung.

Der leitende Theologe sagte, er habe seinerzeit die Bemühungen um eine Kontextualisierung der Wittenberger „Judensau“ inklusive einer erklärenden, distanzierenden Texttafel für „sehr plausibel“ gehalten. Inzwischen habe er seine Meinung aber geändert. „Ich habe mit vielen Jüdinnen und Juden gesprochen, die das Relief weiterhin unerträglich finden.“

Landesbischof Ralf Meister (mit Seniorrabbiner Gábor Lengyel, rechts) bei der Veranstaltung „Was gesagt werden muss. Judentum und Reformation“. Foto: Jens Schulze
Landesbischof Ralf Meister (mit Seniorrabbiner Gábor Lengyel, rechts) bei der Veranstaltung „Was gesagt werden muss. Judentum und Reformation“. Foto: Jens Schulze

Felix Klein hatte sich zuvor in seinem Impulsvortrag skeptisch gegenüber einem „Bilderverbot“ gezeigt. Zudem sollten nicht Gerichte über diese Frage entscheiden - wie im Falle von Wittenberg der Bundesgerichtshof. Dieser hatte im Juni geurteilt, dass die „Judensau“ trotz des antijüdischen Inhalts an seinem historischen Ort verbleiben kann, da die Distanzierung der Gemeinde ausreichend sei.

Klein argumentierte hingegen, die Wittenberger Tafel von 1988 setze zu viel Wissen voraus und sei heute nicht mehr allgemein verständlich. Er hoffe auf einen gesamtgesellschaftlichen Dialog, wie er in einem ähnlichen Fall in Regensburg gelungen sei. „Gebieten es nicht allein Moral und Anstand und Rücksicht auf die Empfindungen der Geschmähten, beleidigende und schmähende Darstellungen zu entfernen?“, fragte der Beauftragte der Bundesregierung.

Grundsätzlich lobte Klein die kritische Auseinandersetzung der evangelischen Kirchen mit der Judenfeindlichkeit Martin Luthers. Dies habe sich besonders beim Reformationsjubiläum 2017 gezeigt. „Es geht nicht darum, Lutherdenkmäler umzustürzen.“ Allerdings müssten auch die Risse und dunklen Flecken dieser Denkmäler sichtbar gemacht werden. „Einer dieser Flecken ist die Abwesenheit jüdischer Perspektiven, die es zu beheben gilt.“

epd Landesdienst Niedersachsen-Bremen
Auch nach dem Beschluss der Stadtkirchengemeinde in Wittenberg für einen Verbl​eib der sogenannten „Judensau“ an der Kirchenfassade geht die Diskussion um das mittelalterliche Schmaehrelief weiter. Foto: epd-Bild/Jens Schlüter
Auch nach dem Beschluss der Stadtkirchengemeinde in Wittenberg für einen Verbl​eib der sogenannten „Judensau“ an der Kirchenfassade geht die Diskussion um das mittelalterliche Schmaehrelief weiter. Foto: epd-Bild/Jens Schlüter

Stichwort

Das als „Judensau“ bekannte Sandsteinrelief wurde um das Jahr 1290 an der Südfassade der Stadtkirche Wittenberg angebracht. Die Schmähplastik zeigt eine Sau, an deren Zitzen sich Menschen laben, die Juden darstellen sollen. Ein Rabbiner blickt dem Tier unter den Schwanz und in den After. Schweine gelten im Judentum als unrein.

Mit solchen Darstellungen sollten Juden im Mittelalter unter anderem davon abgeschreckt werden, sich in der jeweiligen Stadt niederzulassen. Ähnliche Spottplastiken finden sich auch am oder im Kölner und Regensburger Dom sowie am Dom zu Brandenburg.

Die Stadtkirchengemeinde ließ 1988 eine Bodenplatte unterhalb des Reliefs anbringen. Ihre Inschrift nimmt Bezug auf den Völkermord an den Juden im Holocaust, die Plastik selbst findet jedoch keine Erwähnung.

Der Wittenberger Stadtrat sprach sich 2017 für den Erhalt der Plastik aus. Er wertete die Bodenplatte als Mahnmal und ließ in Absprache mit der Gemeinde eine Stele mit Erklärtexten auf Deutsch und Englisch errichten.

Am 25. Oktober des laufenden Jahres beschloss der Gemeindekirchenrat der Stadtkirche Wittenberg, dass die Schmähplastik an ihrem historischen Ort bleibt, um die „Stätte der Mahnung“ als Ganzes zu erhalten. Ein vom Gemeindekirchenrat selbst einberufener „Beirat zur Weiterentwicklung der Stätte der Mahnung“ hatte im Juli noch eine zeitnahe Entfernung der Schmähplastik empfohlen.

Der Gemeindekirchenrat sieht seine Entscheidung im Einklang mit einem Urteil des Bundesgerichtshofs vom Juni, wonach das Relief trotz des antijüdischen Inhalts am historischen Ort verbleiben kann (AZ: VI ZR 172/20). In der Begründung hieß es, dass die Gemeinde sich durch die 1988 eingelassene Bodenplatte und den einordnenden Texten ausreichend distanziert habe.

epd Landesdienst Niedersachsen-Bremen