Landesbischof Ralf Meister beim 11. Waldgottesdienst am Tosmarer Berg
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Söhre. Mit „jugendlichem Schritt“ erreicht der 58-Jährige sein Ziel. „Der ist ja fast schon gelaufen“, staunt ein Wartender, während Landesbischof Ralf Meister an ihm vorbeizieht. Auf der Lichtung stehen Klappstühle und Bänke im Halbkreis, vor der Einmündung zu einem Pfad ist ein Tischchen mit Blumen und ein Kreuz aufgebaut, gegenüber spielen sich Musiker ein. Bevor der traditionelle Gipfelkreuzgottesdienst beginnt, macht der Landesbischof einen Abstecher zum Gipfelkreuz. Zum elften Mal haben vier Gemeinden der Region auf den Tosmarberg geladen, zum ersten Mal reicht der Platz ganz oben nicht aus.
Knapp 50 Menschen finden sich an diesem Sonntag auf der Kreuzung knapp 100 Meter vom Gipfelkreuz entfernt ein. Normalerweise würde die Gemeinschaft auch unter dem Gipfelkreuz genug Platz haben. Aber dieses Jahr ist Normalität eine Ausnahme. Zwei Leute pro Bank, zwei Meter zwischen den Stühlen frei lassen. So treffen sich die Pilger im Zeichen von Corona.
Manche ziehen bereits seit 9 Uhr mit Landesbischof Meister zum Gipfel, andere stoßen erst für den Gottesdienst zur Prozession hinzu. Manche nuckeln an cremefarbenen Schnullern, bei anderen schauen graue Barthaare hinter dem Mund-Nase-Schutz hervor. Ebenso obligatorisch: Teilnehmerliste und Desinfektionsmittel, Müsliriegel und Wasserflaschen.
Etwa 20 Menschen sind den ganzen Weg mit Landesbischof Meister gepilgert. Von der Markuskirche in Hildesheim führte die Route über den Panoramaweg zum Kloster Marienrode, von dort nach Diekholzen und schließlich über den Kammweg zum Gipfelkreuz. Vier Andachten hatten Beteiligte für den Weg vorbereitet. Zehn Kilometer und 300 Höhenmeter misst die Strecke grob gerechnet. „Ich habe das Gefühl, ich bin gar nicht gegangen“, freut sich eine Pilgerin der ersten Stunde auf dem Gipfel. Meint: Die Zeit sei wie im Fluge vergangen, der Austausch mit den Menschen unterwegs habe das Reisen leichtfüßig gemacht.
„Für den Tubisten wäre das eine Quälerei“, meint hingegen Reinhard Benhöfer und blickt auf das schimmernde Instrument zu seinen Füßen. Die Abordnung des Michaelisposaunenchores durfte im Auto zum Ort des Geschehens fahren – auch wenn die Trompeten oder das Waldhorn wohl weniger ins Gewicht gefallen wären. Das Euphonium wiederum dürfte einiges an Schweiß abverlangen.
Was den Instrumenten gemein ist: Es sind Blechbläser. „Es ist wunderbar, draußen zu spielen“, findet Benhöfer. Musizieren in Wald und Flur klinge ohnehin gut, erklärt er, weil die Töne nicht sofort wegfliegen, sondern Ast- und Laubwerk wie eine natürliche Konzerthalle wirken. „Blechbläser sind außerdem so laut, dass der Klang ohne Anstrengung weit trägt“, erläutert der Fachmann weiter.
Das Draußen-Sein hat aber in Bezug auf Musik noch einen weiteren, in Corona-Zeiten viel entscheidenderen Vorteil: Singen und Trompeten sind hier erlaubt. „Geh aus, mein Herz und suche Freud‘“, das Sommerlied von Paul Gerhardt, bildet ein zentrales Motiv des Gottesdienstes. Das Werk des Theologen passe auch nicht bloß jahreszeitlich, erinnert Meister. „Er hat Lieder von großer Fröhlichkeit geschrieben, in einer schrecklichen Zeit.“
Paul Gerhardt erlebte den 30-Jährigen-Krieg. Auch der zurückliegende Sommer brauche viel Trost, meint Meister in Gedenken an die Angehörigen, die allein in den Pflegeheimen leben und manche sogar so sterben mussten. „Wir dürfen uns aber nicht beherrschen lassen von Traurigkeit“, ermutigt Meister.
Das Sommerlied liegt noch in der Luft und der Landesbischof lässt den Blick durch den Hildesheimer Wald schweifen. Es habe einen Grund, dass Paul Gerhardt seinen Text mit einem Imperativ beginnen lasse. „Zieh aus, mein Herz, und suche Freud‘“, meint: „Schau Dir diese Natur an, diese Labsal nach den Wochen des Verzichts“, erklärt Meister. In diesem blühenden und vergehenden Leben zeige sich Gottes Gnade.
Abgeerntete Felder, sprießende Sträucher, Bäume, die sattes Grün tragen, ehe sie es in ein paar Wochen abwerfen werden. Klinge das bisweilen nach Kitsch? Ja, findet auch Kirchenmann Meister. „Manche Texte von Paul Gerhardt gehören ins Poesiealbum“, sagt er, lenkt aber gleich wieder ein: „Zu seiner Zeit war die Welt noch voller Bilder und Bedeutung!“ In der flinken Schwalbe bis zum mächtigen Hirsch hätten die Menschen mehr gesehen. „Es sind große Trostbilder, die uns fordern, zu gehen und der Seele einen Stoß zu versetzen.“
Selbst zum Gipfel darf die Gemeinde noch. In Gruppen von zehn Menschen empfängt Landesbischof Meister dort, um einen Segen zu sprechen. „Ich finde, wir sollten, so lange es geht, Gottesdienste im Freien feiern“, betont er auf dem Weg nach unten noch einmal. Auch wenn die Tage kürzer und die Temperaturen niedriger würden. „Und wenn wir nur eine halbe Stunde draußen bleiben: Es kann ein großes Fest sein und wir können singen.“ Mit diesen Worten verabschiedet sich der 58-Jährige von den Gemeinden. Sein Fahrrad für den Heimweg steht im Tal schon bereit.
Öffentlichkeitsarbeit im Ev.-luth. Kirchenkreis Hildesheim-Sarstedt