Wenn die Bibliothek vorfährt
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Fahrbüchereien beraten bei internationalem Kongress über ihre Zukunft
Wenn Christine ihren vierjährigen Sohn Jack vom Kindergarten abholt, dürfen die beiden auf dem Weg zum Bus auch etwas trödeln. Denn dieser Bus fährt ihnen nicht einfach vor der Nase weg. Auf dem zwölf Meter langen Fahrzeug in Weiß, Blau und Rot, das wie ein Linienbus aussieht, prangt der Schriftzug "Fahrbücherei". An diesem Tag hält der Bücherbus vier Stunden lang an der Rimpaustraße im hannoverschen Stadtbezirk Bult, um dort die Menschen mit Büchern zu versorgen.
Die mobile Bibliothek beliefert in Hannover seit 65 Jahren 17 Standorte, dort, wo eigene Büchereien oder gute Anbindungen zu öffentlichen Verkehrsmitteln fehlen. Beim "Internationalen Kongress der Fahrbibliotheken" werden sich die städtischen Betreibe an diesem Freitag und Sonnabend in Hannover mit Kolleginnen und Kollegen aus fast aller Welt austauschen.
Mehr als 200 Teilnehmer aus 14 Ländern und 30 Busse neben Deutschland aus Slowenien und den Niederlanden haben sich dafür angekündigt. "Ein so großes Treffen hat in Deutschland noch nie stattgefunden", sagt Mitinitiator Johannes von Freymann. "Damit wollen wir auf die Vorteile der mobilen Büchereien aufmerksam machen." Der 62-Jährige leitet die Fachkommission Fahrbibliotheken des Deutschen Bibliotheksverbandes.
"Jack hat gerade im Kindergarten angefangen", erzählt Christine. "Und da der Bus genau gegenüber parkt, ist das sehr praktisch." Die 44-jährige Biologin ist alleinerziehend. "Müsste ich alle 14 Tage weitere Wege gehen, um die ausgeliehenen Bücher zurückzubringen, wäre das nicht so leicht machbar." Aus den vollgepackten Regalen hat Christine mehrere Bücher ausgesucht: darunter eines zum Vorlesen für Jack und eines für seinen zweijährigen Bruder, berichtet sie. "Jack würde aber am liebsten mit dem Bücherbus mitfahren."
Auf 24 Quadratmetern bietet der Bus mehr als 4.500 Medien. Darunter befinden sich vor allem Kinderbücher. Acht von zehn Nutzern sind laut der Busleiterin und Bibliothekarin Doris Kutschera-Benz jünger als zehn Jahre. Die Kinder dürfen die Bücher, Spiele, Hörbücher oder Filme kostenlos ausleihen. Für die Erwachsenen gibt es neben Biografien oder Krimis auch Ungewöhnliches wie Formulare für die Steuererklärung. "Vor allem ältere Leute holen sich die Unterlagen gerne bei uns", erläutert Kutschera-Benz. "Die Wege sind oft kürzer als bis zum Amt."
Laut einer Umfrage im Auftrag der Kultusministerkonferenz ist jede Fahrbibliothek in Deutschland 2017 im Durchschnitt rund 12.000 Kilometer gefahren und hat dabei mehr als 82.100 Medien zu 2.300 Leserinnen und Lesern gebracht. Seit mehr als 90 Jahren gibt es in Deutschland Fahrbibliotheken.
In den 1970er Jahren bestanden laut von Freymann etwa 135. Seit einer Sparwelle Ende der 1980er Jahre sinkt ihre Zahl. Mit der Wende brachen die vielen kleinen Bibliotheken im Osten zusammen, wurden durch 30 Bücherbusse ersetzt und erhöhten die Zahl der gesamtdeutschen Fahrbibliotheken zeitweise auf 155. "Mittlerweile sind noch 105 Bücherbusse in Deutschland unterwegs", sagt von Freymann. Neun davon bedienen Kunden in Niedersachsen und Bremen.
Dass mit zwei Dritteln ein Großteil der Busse in den Städten fahre, liege vor allem an den hohen Anschaffungskosten: Je nach Bauart und Ausstattung des "Sonderfahrzeugs" könnten diese bis zu einer halben Million Euro reichen. "Dafür haben Städte einfach mehr Geld als Dörfer." Dennoch werden die Bücherbusse nach Ansicht des Experten immer dringender auf dem Land gebraucht.
Auf der Fachtagung in Hannover wollen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über Fragen wie diese diskutieren. In den Niederlanden stellten Medienmobile den Kunden neben Büchern auch Tablet-Computer, E-Reader oder 3D-Drucker zur Verfügung, sagt von Freymann. "Die Welt wandelt sich, also müssen Fahrbibliotheken sich auch wandeln."
Den Bus in Hannover haben laut Kutschera-Benz im vergangenen Jahr 1.200 Leser genutzt. Mit 32 Jahren auf dem Buckel und mehr als 280.000 gefahrenen Kilometern ist dieser Bücherbus einer der ältesten bundesweit. Nun darf er kurz vor dem Kongress in Rente gehen. Ein neues Modell soll die altbewährte Aufgabe übernehmen.
Cristina Marina (epd)