Im Advent klopft meine Sehnsucht mal wieder bei mir an. Sie ist in den letzten Jahren ruhiger geworden, weniger schrill und bunt. Aber ihre Glitzerhaarspange mit den zwei roten Kirschen trägt sie immer noch.
„Na“ sagt sie, „kennst Du mich noch?“
„Ach“, sage ich und räume die Zeitungen und Werbeprospekte beiseite, drücke ihr mit einem Seufzen meinen Terminkalender, drei Wunschzettel und einen Stapel Post in die Hand. Dazu die Umfrageergebnisse, Wahlprognosen und den Abschlussbericht der letzten Klimakonferenz. „Halt das mal kurz…“
„Was soll ich damit?“ fragt meine Sehnsucht und weigert sich, den Stapel Papier entgegenzunehmen.
„Du sollst das festhalten“, antworte ich. „Meine Hände sind müde und ich kann kaum noch stehen und ich habe keine Kraft dafür und ich halte das alles nicht mehr aus.“
„Na gut, gib her!” sagt sie mitfühlend. „Aber vielleicht könnte man damit auch was anderes machen? Mit Feuer? Und dann Stockbrot…?“
Sie nimmt den ganzen Stapel. Ziemlich viel Papier für so eine kleine Sehnsucht. Sie schwankt ein bisschen. Ich stütze sie. Meine Hände sind ja jetzt frei.
„Was wolltest Du denn hier?“ frage ich sie und schäme mich ein bisschen, dass ich sie nicht gleich hereingebeten habe „Bleibst Du länger?“
„Mal sehen… Ich dachte, Du kannst ein bisschen Gesellschaft gebrauchen. Dann ist das Warten nicht so langweilig.“
„Das Warten? Ich warte nicht. Es ist so viel zu tun. Krisen überall. Wenn wir noch länger warten, ist es bald für immer zu spät…“
„So ein Warten meine ich nicht.“ Die Sehnsucht lässt den Papierstapel fallen und setzt sich drauf. „Du solltest mich besser kennen. „Däumchen drehen und warten, dass es von selbst gut wird“ – das ist nicht meins. Ich meine richtiges Warten.“
„Richtiges Warten? Was soll das denn sein? Muss ich jetzt beim Warten auch noch aufpassen, nichts falsch zu machen?“
„Du musst gar nichts“, sagt die Sehnsucht zärtlich und klettert auf die gestapelten Aktenordner. So ist sie größer als ich und ich staune, wie jung sie immer noch aussieht.
„Komm mal hier rauf“, sagt sie und reicht mir ihre Hand. Hier oben ist nicht viel Platz. Wir stehen eng zusammen, halten uns aneinander fest, damit wir nicht fallen. Sie zeigt die Straße hinunter, hinter einigen Fenstern leuchtet es warm, von irgendwoher klingt Musik: „O, Heiland, reiß die Himmel auf... "
Meine Sehnsucht schaut mir tief in die Augen: „Wenn es am dunkelsten ist, fängt der neue Tag schon an. Wusstest Du das?“
Ich nicke stumm.
„Gut, dann komm jetzt mit in den Garten. Wir machen Lagerfeuer!“
Jesaja 35,3-10