Die Zeiten ändern uns

Andacht zum 22. Sonntag nach Trinitatis
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Der Autor

Jakob Kampermann
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Jakob Kampermann

Jakob Kampermann ist Pastor und Mitglied der Evangelischen Medienarbeit (EMA) der Landeskirche Hannovers. 

Die Zeiten ändern sich.... und uns auch.

Sie treffen sich regelmäßig. Einmal in der Woche. Immer am Freitag. Dann machen sie Pläne fürs Wochenende. Im Sommer gab es besonders viele Möglichkeiten, aber im Herbst ist es ja auch noch sonnig. Da kommt er besonders gerne zu ihr, denn dann rauchen sie meistens noch eine Zigarette auf dem Balkon zusammen. Eine Camel Filter. Die bringt er immer mit. Sie kocht dafür den Kaffee.

Sie wohnen schon lange zusammen in der Nachbarschaft. Aber so regelmäßig treffen sie sich erst, seit ihre Ehepartner gestorben sind. Ein Witwer und eine Witwe also. Mehr hat sich nie ergeben zwischen den beiden. Man muss ja auch nicht übertreiben. Aber alleine in der eigenen Wohnung sitzen, das wollen sie beide nicht.

Er steht noch auf dem Balkon und lässt sich die Sonne ins Gesicht scheinen, während sie schon den Kaffee eingießt. Vom Kanal her hört er Ruderschläge und die Kommandos des Trainers. Er schließt die Augen, atmet ein und aus, dann dreht er sich plötzlich um. „Das war immer toll“, sagt er zu ihr, „auf dem Wasser zu sein und alle Muskeln zu benutzen, die der Körper zu bieten hat. Mit den anderen zusammen. Das hat immer Spaß gemacht. Und wenn wir dann beim Ruderhaus wieder ankamen – völlig fertig – dann waren wir so zufrieden. Bis zur Deutschen Meisterschaft haben wir’s geschafft. In Heidelberg ...“

Sie bringt seine Kaffeetasse nach draußen. „Und warum machst du das jetzt nicht mehr?“ Sie guckt, als würde sie diese Frage wirklich ernst meinen.

„Ach, es war wohl die Zeit, die ich eher in der Firma und im Garten verbracht habe. Und inzwischen macht der Rücken nicht mehr mit. Guck mal, ich werde jetzt 82. Da kann man all das nicht mehr erwarten.“

„Was erwartest du denn?“ Sie nimmt einen großen Schluck aus ihrer Tasse.

Genau deshalb kommt er hierher, weil sie solche Fragen stellt, über die er ernsthaft nachdenken muss. „Ich glaube es ist gut, die eigenen Erwartungen den tatsächlichen Möglichkeiten anzupassen. Manchmal gelingt mir das. Aber natürlich nicht immer. Wenn ich an all die Feste denke, die ich gefeiert habe! Viele von meinen Tanzpartnerinnen leben heute schon nicht mehr.“

„So wie Erika?“

„Ja, natürlich, die vermisse ich besonders. Aber all das andere auch. Was wir geschafft haben! Das war eine ganze Menge. Daran denke ich gerne zurück. Aber das erwarte ich nicht mehr, dass das heute und mit mir auch noch möglich wäre.“

„Und, macht Dich das traurig?“

„Ja, manchmal. Und dann denke ich wieder, dass ich das ja tatsächlich erlebt habe ...“ Er guckt in seine Tasse.

„Zigarette?“

„Gerne.“

Biblischer Text,
Psalm 90,1b–7.10.12
Herr, Du bist unsre Zuflucht für und für. Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen wurden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Der du die Menschen lässest sterben und sprichst: Kommt wieder, Menschenkinder Denn tausend Jahre sind vor Dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache. Du lässest sie dahinfahren wie einen Strom, sie sind wie ein Schlaf, wie ein Gras, das am Morgen noch sprosst, das am Morgen blüht und sprosst und des Abends welkt und verdorrt. Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre, und was daran köstlich scheint, ist doch nur vergebliche Mühe; denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon. Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.
Jakob Kampermann