Auf einem Waldweg entdecke ich sie: Mächtige Wurzeln, die einem Baum sicheren Halt gegeben haben – über Jahrzehnte. Ein großer Sturm scheint sie herausgerissen zu haben. Wo sie sich in die Erde krallten, klafft ein tiefes Loch. Das fein verzweigte Wurzelwerk, das den Baum verlässlich versorgte, ist nun zerrissen. Seine Wurzeln greifen haltlos ins Leere. Welche Wucht muss der Sturm gehabt haben… Ich erschrecke über diese Kraft und bin zugleich fasziniert: Wurzeln, die ich nur sehen kann, weil sie mit Gewalt herausgerissen wurden. Ein Baum muss umfallen, damit seine Wurzeln sichtbar werden. Und meine Wurzeln?
Unweigerlich denke ich an Stürme in meinem Leben. Da sind Träume zerplatzt, wurden Pläne zerstört, sind mir Menschen verloren gegangen. Situationen fallen mir ein, die mich auf den Grund gestoßen haben. Erfahrungen, die mich letztlich an meine Wurzeln gebracht haben; an die Frage: Was hält, was trägt und nährt mich eigentlich?
Gott? Manchmal bin ich ganz sicher – fest verwurzelt. Dann wieder fühle ich mich weit entfernt, suche ihn und kann ihn nicht finden. Vielleicht hat mich diese Entdeckung im Wald darum so bewegt. Denn: Dass Wurzeln nur sichtbar sind, wenn ein Baum umfällt, wenn etwas kaputt gegangen ist, das ist eine Sache. Die andere ist die unglaubliche Lebensenergie, die in einer Wurzel steckt. Wenn sie Kontakt behält, Boden um sich bekommt und Wasser, dann wird sie wieder ausschlagen. So auch hier: An den Zweigen des Baums treiben erste Frühlingsblätter. Ein neuer Anfang aus einer alten Wurzel!
Darin kann ich Gott am deutlichsten erkennen: In solcher Lebensenergie; die auch Menschen in sich bergen – Kraft, dass auch nach zerplatzten Träumen, nach zerstörten Hoffnungen, sogar nach großem Verlust und zerstörerischen Lebensstürmen Neues wachsen kann. Wann immer mir der kleinste Funke solcher Lebensenergie begegnet – in Gesprächen, im Miteinander oder in der Stille – erfahre ich ein bisschen mehr von Gott. Und von dem, was er versprochen hat: Ich nähre dich. Ich trage dich. Ich bin da.
Am Sonntag denken wir nach über das Beten. Auch das nährt meine Wurzeln, das, was mir Halt gibt: Offen und frei von der Leber weg mit Gott zu sprechen und darauf zu vertrauen: Gott nimmt mich ernst, wenn ich mich an ihn wende. Nie wird er mir seine Liebe entziehen. Und wenn ich seine Wege verlasse und Gott allen Grund hat, enttäuscht, vielleicht sogar sauer auf mich zu sein, bin ich weiter begleitet und in allem nur Denkbarem ist ein neuer Anfang möglich.
2. Mose 32,7–14