Fühlen wir uns gut vertreten?

Andacht zum Sonntag Misericordias Domini
Ein Schaf in einer Herde
Bild: Pixabay

Der Autor

Ein Mann mit kurzen Haaren, Vollbart und Brille blickt in die Kamera.
Ralf Drewes

Ralf Drewes ist Pastor in der Nordstädter Kirchengemeinde in Hannover.

In der Pandemie kratzte es am modernen Selbstbewusstsein: „Bleib in deiner Hütte!“, hörte der global aufgestellte Mensch. „Reisen bringt Gefahr!“, hörte der mobile Mensch. „Folge den Regeln!“, hörte der unabhängige Mensch. Das Selbstbewusstsein ist seither irritiert: Diesen Ton kennen wir gar nicht mehr. So regiert zu werden. So zusammengehütet zu werden. Wie Schafe und ihr Hirte.

Fühlen wir uns eigentlich gut vertreten? Wie erstaunlich ist es, dass in diesem Land immer mehr Leute das Parlament und die Demokratie nicht mögen. In manchen Teilen Deutschlands ist das etwa jeder fünfte, sagt die Meinungsforschung. Aber wir sehen auch in anderen Ländern: Populisten haben Zulauf, nur die gefühlte Wahrheit ist sexy, politische Kompetenz gilt als elitär. Leben unter einer Militär-Regierung – ist doch kein Problem. Spaß haben in einer Ein-Mann-Diktatur – warum nicht! Wer auf etwas stolz sein will – warum dann nicht national oder völkisch denken? Ganz klar, warum das nicht geht: weil Christus keine Grenzen, keine Nationen, keinen Rassismus kennt. Und weil wir hier in unserem Land unsere Erfahrungen damit gemacht haben: mit Führer, Volk und Vaterland. Und damit haben wir, wenn man es mal positiv sehen will, einen Vorsprung vor den Menschen in anderen Ländern. Wir können sagen: So kann es kommen, wenn man nicht aufpasst.

„Das Evangelium und die Demokratie sind Geschwister“, hat mal jemand gesagt. Ein steiler Satz. Aber es stimmt: Beides gehört zusammen, beides wächst auf dem gleichen Stamm der Menschenfreundlichkeit. Da sollte man sich im Griff haben, wenn man mit anderen klarkommen will, denn: Die Wütenden können nicht weiden. Die suchen nicht das Verlorene, sie bringen nicht zurück, was sich verirrt hat, verbinden nicht die Verwundeten und stärken nicht das Schwache. Man kann nicht Christ, Christin sein und gleichzeitig glühen vor Hass und Misstrauen. Es ist ja nicht nur mit der Seele des Menschen so, auch zur politischen Mitte gehört eine innere Mitte. Christenleute wissen das. Sie üben das täglich: Im Vertrauen auf Gott in die Zukunft sehen. Kräfte sammeln, Segen sammeln – und dann dort anpacken, wo es nötig ist. Aus der eigenen inneren Mitte heraus.

Amen.

Biblischer Text,
Johannesevangelium 10,11–18
Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Der Mietling, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht – und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie –, denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe. Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt; und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe. Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden. Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, auf dass ich’s wieder empfange. Niemand nimmt es von mir, sondern ich selber lasse es. Ich habe Macht, es zu lassen, und habe Macht, es wieder zu empfangen. Dies Gebot habe ich empfangen von meinem Vater.
Ralf Drewes