Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe

Andacht zur Jahreslosung
Das Bild zeigt eine männlich lesbare Person ohne Bart, mit kurzen grauen Haaren, einer Brille mit dunkler Fassung, einem hellblauen Schal, weißem Hemd und dunklem Sakko. Die Person hält ein Mikrophon in ihrer rechten Hand und hält die linke Hand auf Brusthöhe.
Bild: Jens Schulze
Landesbischof Ralf Meister

„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ (1. Korinther 16,14)

Eine Jahreslosung muss kurz und knapp sein. Darin ist sie stark und schwach zugleich. Schnell kann sie für alles benutzt werden. Allgemeinplätze sind richtig und wirkungslos. „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“.

Mich erinnert das an die wiederholten Mahnungen meiner Eltern bei geschwisterlichen Streitigkeiten in der Kindheit: „Vertragt euch. Habt euch lieb!“ Das mit dem „einander vertragen“ wussten wir selbst. Wir schafften es nur nicht. Eine Ermahnung war das Letzte, was wir brauchten. Liebe oder Frieden kann man nicht befehlen.

Die Jahreslosung steht am Ende eines langen Briefes. Paulus schreibt ausführlich an die Gemeinde in Korinth. Er antwortet auf die Konflikte zwischen den verschiedenen Parteiungen und kniet sich in die Irrlehren hinein. Warum läuft es schief in der Gemeinde? Warum glauben einige nicht mehr an die Auferstehung und folgen anderen Propheten? Nachdem Paulus seitenlang versucht zu verstehen und zu antworten, kommen zum Schluss seine Grüße an die Gemeinde. Dort findet sich die Jahreslosung, eingeführt durch einen anderen Satz: „Wachet, steht im Glauben, seid mutig und seid stark! Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen.“ So heißt es in der Lutherübersetzung von 2017.

Diese Jahreslosung wird nur dann eine Losung für unser Jahr, wenn sie aus ihrem Zusammenhang verstanden wird. Ansonsten hängt sie als kitschige Postkarte in der Küche am schwarzen Brett.

Werdet durchlässig für das, wo die Liebe fehlt. Dahin führt Paulus die Gemeinde in Korinth. Das ist keine spontane Eingebung, sondern bedeutet eine aufwändige Suche. Dazu müssen wir aufmerksam werden, wach. Unser Leben durchsuchen mit all seinen Abwegen und Irrläufen. Mit seinen Konflikten und Enttäuschungen. Woran habe ich geglaubt, wie mutig war ich? Und blieb mein Leben von Liebe durchzogen? Ich fühlte mich loyal und anständig, gewiss. Ich versuchte gerecht zu sein und aufmerksam. Aber war ich es wirklich?

Bei einer kritischen Lebensbetrachtung öffnen sich Türen. Wie sehe ich den Menschen? Nicht meine Freundin oder meinen Ehepartner, sondern diejenigen, mit denen ich aus unterschiedlichen Gründen nichts zu tun haben will. Den Flüchtling aus Eritrea, den Nachbarn, der sich in rechtsextreme Gedanken verirrt hat, die Obdachlose am Eingang zur Fußgängerzone? Erkannte ich in ihnen das Ebenbild Gottes?

Wie liebte ich die Schöpfung? Ist das große Geschenk, vom Sonnenaufgang bis zum Waldspaziergang, wie eine Selbstverständlichkeit an mir vorübergegangen? Sah ich das Leid der Tiere, die Vernichtung der Natur? Habe ich die Schöpfung geliebt, nicht nur im Dank, sondern im aktiven Tun, sie zu schützen und zu erhalten? 

Und habe ich geglaubt? Nicht an irgendein höheres Wesen, sondern an den, der mir das Leben schenkte, mich aufwachsen ließ und mir Familie, Freunde und Gemeinschaft schenkte? Der mich schuldig annahm und ermutigte, frei und liebevoll seinem Vorbild zu folgen?

Erst nach all diesen Fragen kommt die Jahreslosung: Lasst euer Leben mit Liebe durchzogen sein. Es kann mühsam sein, aber es ist verheißungsvoll. Und es reicht weiter, denn 2025 feiern wir den Kirchentag in Hannover unter der Losung „mutig – stark – beherzt“ (1. Korinther 16,13–14).

Landesbischof Ralf Meister