Zutrauen haben

Andacht zum 14. Sonntag nach Trinitatis
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Der Autor

Jakob Kampermann
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Jakob Kampermann

Unserer großen Tochter haben wir gerne „Wir Kinder aus Büllerbü“ vorgelesen. Tatsächlich mehrmals, weil sie die Geschichten so gerne gehört hat und weil wir die Geschichten von Astrid Lindgren so gerne vorgelesen haben. Sie sind wunderbar erzählt.

Und die Geschichten erzählen von einer wunderbaren Welt. Menschen aus unterschiedlichen Generationen und Familien leben miteinander in einem kleinen Ort in Småland. Eine heile Welt, in der die Kinder immer spielen. Fast immer. Sie gehen natürlich auch zur Schule und machen Spaß mit der Lehrerin, sie liegen im Heu und hüpfen im Heuhaufen. Sie klettern auf Berge und suchen nach Schätzen, sie verziehen Rüben und verkaufen Kirschen. Sie tanzen um den Mittsommerbaum, sie lesen dem alten Großvater aus der Zeitung vor, sie fahren Weihnachten zum Festessen zu Tante Jenny und laufen Schlittschuhe und fallen in den See. Die Hauptsache ist, dass ständig was passiert, und das tut es.

"Mir tun alle Leid, die nicht in Bullerbü wohnen", sagt Lisa, aus deren Sicht die Geschichten erzählt sind.

Die Eltern dieser Kinder tauchen eigentlich nur auf, um Butterbrote zu schmieren, die Pferde vorzuspannen für den Familienausflug, oder mit den Kindern Krebse fangen zu gehen.

Und dann sitze ich mit einer Freundin vor unserer Haustür. Ihre und meine Tochter spielen zusammen im Garten. Wir können sie hören, aber nicht sehen. Das fällt meiner Freundin plötzlich auf, dass wir nicht sehen können, wer am Zaun vorbei geht und die Mädchen anspricht... Ob wir uns Sorgen machen müssten?

Dass wir uns als Väter, Mütter und auch Großeltern Sorgen machen um die Kinder, die uns die Welt bedeuten, lässt sich wohl nicht verhindern. Das gehört zur Liebe dazu. Aber ich frage mich, ob wir jede dieser Sorgen auch leben müssen. Ich habe meiner Tochter ja eben nicht vom Struwwelpeter vorgelesen, sondern von Bullerbü.

Der Theologe Heinrich Spaemann (1904-2001) hat es so formuliert: „Was aus einem Menschen wird, hängt entscheidend mit davon ab, wie wir ihn sehen. Und was wir mit ganzem Herzen für den anderen erhoffen, danach streckt er auch selber sich unwillkürlich aus.“

Kinder zu erziehen, ist wahrscheinlich zu allererst ein Lernprozess für Eltern. Loslassen gehört dazu. „Zutrauen“ meint fast dasselbe, klingt aber gleich viel schöner. Dass Kinder etwas können, hat zunächst nicht mit ihrem Lernen zu tun, sondern damit, dass die Eltern das lernen.

Wie wunderbar wäre es, wenn unsere Kinder sagen: "Mir tun alle Leid, die nicht bei uns wohnen!"

Biblischer Text,
1. Petrusbrief 5, 6 - 7
So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.
Jakob Kampermann