So nimm denn meine Hände und führe mich... Kaum eine Trauerfeier findet ohne dieses Lied statt. Ich mag gar nicht entscheiden, was eindrücklicher ist an diesem Lied: Text oder Melodie. Die ist in einer gut singbaren Tonhöhe gesetzt, sodass beim Singen mehr ins Klingen kommt, als man wollte.
Den Text hat eine Frau geschrieben: Julie hieß sie. Julie Hausmann. 1862 hat sie diesen Text verfasst. Die Geschichte dazu ist diese:
Julie von Hausmann wächst im heutigen Lettland auf. Als junge Frau verliebt sie sich in einen Pfarrer. Er will unbedingt als Missionar nach Afrika gehen. Seine Abreise ist längst geplant, als er Julie kennenlernt. Die beiden verloben sich, dann fährt der Missionar nach Afrika.
So schnell es geht, reist Julie Hausmann ihrem Verlobten hinterher. Als sie in der Missionsstation ihres Verlobten ankommt, ist er gerade an einer Seuche gestorben. Sie findet nur noch das Grab vor.
In dieser emotionalen Situation hat sie den Text „So nimm denn meine Hände und führe mich“ geschrieben. „Ich mag allein nicht gehen, nicht einen Schritt. Wo du wirst geh'n und stehen, da nimm mich mit.“
Das ist ihre Antwort auf den Tod. Das ist ihre Antwort auf den Verlust des liebsten Menschen, mit dem sie eine Familie gründen wollte. Dem sie bis nach Afrika gefolgt war, an dessen Grab sie jetzt stand.
Ihre Frage war: In wessen Hände kann ich jetzt mein Leben geben?
Julie Hausmann war sich beim Schreiben dieser Verse nicht sicher, die Antwort auf diese Frage gefunden zu haben. Aber in ihren Worten drückt sie eine Sehnsucht danach aus, dass Gott sie hält: „Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht“.
Julie Hausmann merkt, dass sie sich selbst in ihrer Trauer und ihrem Schmerz nicht halten kann. Dass sie eine Hand braucht, in die hinein sie sich fallen lassen kann.
Der Theologe Henri Nouwen erzählt über eine Begegnung mit Zirkus-Trapezkünstlern. Der Leiter der fliegenden Gruppe erklärt ihm:
„Als Luftspringer muss ich absolutes Vertrauen auf den haben, der mich auffängt. Sie und das Publikum halten vielleicht mich für den großen Star am Trapez, aber der wirkliche Star ist mein Fänger. Er muss für mich im Bruchteil einer Sekunde parat sein und mich aus der Luft angeln, wenn ich im hohen Bogen auf ihn zufliege. Das Geheimnis besteht darin, dass der Flieger nichts tut und der Fänger alles!"
„Und Sie tun dabei nichts!", erwiderte ich ziemlich überrascht. „Nein, gar nichts," wiederholte er. „Das Schlimmste, was der Flieger tun kann, ist nach dem Fänger greifen zu wollen. Würde ich nach seinen Handgelenken greifen, könnte ich sie brechen, oder er könnte die meinen brechen, und das wäre für uns beide das Aus!"
Gott streckt seine Hand aus, um uns aus der Luft zu fangen.
So nimm denn meine Hände und führe mich bis an mein selig Ende und ewiglich.
Amen.
Julie Hausmann (1862)
bis an mein selig Ende und ewiglich.
Ich mag allein nicht gehen, nicht einen Schritt:
wo du wirst gehn und stehen, da nimm mich mit.
2) In dein Erbarmen hülle mein schwaches Herz
und mach es gänzlich stille in Freud und Schmerz.
Lass ruhn zu deinen Füßen dein armes Kind:
es will die Augen schließen und glauben blind.
3) Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht,
du führst mich doch zum Ziele auch durch die Nacht:
so nimm denn meine Hände und führe mich
bis an mein selig Ende und ewiglich!