Klima, Krieg und Kaiserschmarrn

Bild: epd-bild/Jens Schulze

Die Themen des „Frei Day“ bilden die Sorgen und Wünsche der Erst- bis Viertklässler der evangelischen „Waldschule Eichelkamp“ anschaulich ab - und sie könnten unterschiedlicher nicht sein. Für die Ukraine haben die Kinder ein Friedenslied komponiert, für die Bienen Blumensamen im Schulgarten verbuddelt, für die Rechte von Mädchen Vorträge gehalten und für Kinder, die sich keinen Ranzen leisten können, Geld gesammelt.

Und dann war da noch die Sache mit dem süßen Mittagessen. Das war vom Speiseplan der Schule verschwunden; zu viel Zucker, argumentierten die Pädagogen. Die Kinder suchten das Gespräch mit ihren Lehrern und dem Caterer der Schule - und fanden einen Kompromiss: Alle sechs Wochen gibt es jetzt wieder Kaiserschmarrn. „Da haben sie sich wirklich ins Zeug gelegt“, sagt Schulleiterin Anja Gläsner-Weitkamp - und lächelt anerkennend.

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Schülerinnen im Schulgarten der Evangelischen Waldschule Eichelkamp in Wolfsburg.

Denn genau darum geht es beim „Frei Day“. Sich engagieren, mutig sein, Dinge, die einem nicht gefallen, ansprechen, Lösungen und Gleichgesinnte finden - und dranbleiben, auch wenn etwas mal nicht funktioniert. „Wir wollen verhindern, dass Kinder angesichts der Krisen in der Welt, ein Gefühl der Ohnmacht erleben“, sagt Lehrerin Kathryn Brandes. „Sie sollen erfahren, dass ihre Ideen, ihr Einsatz einen Unterschied macht.“ Diese Selbstwirksamkeit zu erleben, stärke Kinder, mache sie stolz und glücklich - und am Ende zu unverzichtbaren Mitgliedern einer demokratischen Gesellschaft.

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Julian, Alice und Mahmud beim Müll einsammeln.

An 111 Schulen ist der „Frei Day“ bundesweit bereits etabliert. Vorgesehen sind für das Lernmodul vier Stunden wöchentlich. Es gibt keine Noten, keine konkreten inhaltlichen Vorgaben. Die Projekte der Schüler sollen sich lediglich an den „Global Goals“, den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen, orientieren. Darunter fallen Themen wie der Kampf gegen den weltweiten Hunger, Bildungsgerechtigkeit, Geschlechtergleichheit, menschenwürdige Arbeit, saubere Energie und nachhaltiger Konsum. Die TU Braunschweig hat zur Erklärung der Ziele kurze, kindgerechte Filme gedreht.

Hinter der Idee, die Lernkultur zu verändern, Eigeninitiative und Verantwortungsbewusstsein der Schüler zu stärken, steht die Berliner Organisation „Schulen im Aufbruch“, die 2012 unter anderem von Professor Gerald Hüther sowie Margret Rasfeld gegründet wurde. Der Hirnforscher und die ehemalige Schulleiterin wollen den Angaben ihrer Homepage nach Schulen „dazu anstiften, das historisch gewachsene Unterrichtverständnis kritisch zu prüfen und loszulassen, um einen transformativen Weg zum neuen Lernen zu ermöglichen“.

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Lucas, Yann Yuuki, Rebecca, und Ian haben zum Thema Frieden gemalt.

Ein Ansatz, den auch der Statistiker und Bildungsforscher Professor Andreas Schleicher teilt. „Die Vermittlung von Lernstoff ist heute nicht mehr das Wesentliche. Es geht nicht mehr darum, was wir wissen - Google weiß alles. Es geht darum, was wir mit unserem Wissen tun können. Dafür brauchen Kinder in der Schule Raum“, sagt der Koordinator der Pisa-Studien und Bildungsdirektor der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Die evangelische Waldschule setzt seit rund einem Jahr auf das selbstbestimmte Lernen. 310 Schülerinnen und Schüler besuchen die Schule, die idyllisch inmitten von Bäumen am südwestlichen Rand von Wolfsburg liegt, einer Stadt, die vor 85 Jahren als Sitz des Volkswagenwerks gegründet wurde. Die Kinder, die aus vielen verschiedenen Nationen kommen, werden von 26 Lehrern unterrichtet.

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Schülerinnen und Schüler einer zweiten Klasse der Evangelischen Waldschule Eichelkamp in Wolfsburg lernen den Umgang mit dem Computer.

Jeden Dienstag ab 13.25 Uhr treffen sich die Dritt- und Viertklässler, um an ihren freien Themen zu arbeiten. Lydia, Malia und Elise aus der 4b zum Beispiel haben einen Youtube-Kanal erstellt, auf dem sie über Armut sprechen, und Lucas, Yann Yuuki, Rebecca und Ian einen selbstgemalten Flyer vervielfältigt, auf dem sie appellieren, weniger Fleisch, Wasser und Elektrizität zu verbrauchen.

„Entscheidend ist, dass die Kinder eigene Ideen haben“, sagt Schulleiterin Gläsner-Weitkamp. Die Lehrer begleiteten den Prozess, stünden als Lernbegleiter am Rand, mischten sich aber nicht ungefragt ein. „Letzteres für uns durchaus eine Herausforderung“, räumt Konrektorin Rebekka Sturzebecher lachend ein.

Die neuste „selbst gewählte Herausforderung“ der Schüler hat zwar wie bereits ihr Kaiserschmarrn-Engagement nicht unmittelbar mit den Global Goals der UN zu tun. Doch die grundsätzlichen Fähigkeiten - eine Idee zu haben, an diese zu glauben, an den richtigen Stellen nachzufragen - ließen sich auf wichtige gesellschaftliche Themen übertragen. Aktuell wünschen sich die Kinder für den Pausenhof eine Schaukel.

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Schulleiterin Anja Gläsner-Weitkamp der Evangelischen Waldschule Eichelkamp in Wolfsburg.

Sie haben die Lehrer um Erlaubnis gefragt, sind im Dialog mit dem Hausmeister. Sie haben einen in ihren Augen geeigneten Platz gefunden und recherchiert, dass so eine Schaukel vom TÜV geprüft werden muss. „Nun brauchen wir noch Geld - und einen, der uns die Schaukel baut“, sagt ein Junge mit kurzen schwarzen Haaren stirnrunzelnd. Sein Freund ergänzt: „Vielleicht können wir wieder einen Flohmarkt machen und dadurch Geld einnehmen, das hat doch schon mal geklappt.“

Julia Pennigsdorf (epd)