Mikrowelle statt Parkbank: Obdachlose ziehen ins Hotel
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Hannover (epd). Mit einem kurzen Schwung zieht Franz Bauer die Schranktür auf und kramt aus dem oberen Fach mehrere Packungen heraus. «Das sind Kasslerbraten, Rinderrouladen und Wirsingroulade», erläutert der 58-Jährige. Drei Fertiggerichte zum Abendessen in seinem neuen Leben. Aufwärmen kann er sie in der weißen Mikrowelle, die er sich vor kurzem angeschafft hat - genauso wie den Wasserkocher für den Frühstückskaffee und ein Notebook. Für Bauer ist das alles Luxus, denn noch vor Monaten schlief er nachts auf einer Parkbank.
Jetzt nimmt er an einem Projekt für rund 75 Wohnungslose in Hannover teil, die dank großzügiger Spenden von Bürgern und Stiftungen bis Ende März den Corona-Winter in Hotels und Gästehäusern verbringen können - so wie es inzwischen auch in manchen anderen deutschen Städten möglich ist.
«Mit nur einer Tasche bin ich hier angekommen», erzählt Bauer in Mannheimer Mundart. Im Dezember war das, kurz vor Weihnachten. Dunkel, kalt und regnerisch war es draußen. Doch inzwischen kann er sich in seinem Einzelzimmer abends in sein warmes Bett hüllen. Er hat eine eigene Heizung, einen Schreibtisch, funktionierendes WLAN und sogar einen riesigen Fernseher. Doch das Wichtigste für ihn: «Hier hab ich meine Privatsphäre. Ich kann mal abschalten und die Tür hinter mir zumachen. Und ich brauche mir keine Gedanken zu machen, wenn mal Mistwetter ist.»
Mit dem Projekt setzen Diakonie, Caritas, Arbeiterwohlfahrt und der Verein «Selbsthilfe für Wohnungslose» eine Forderung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) um, die für die Interessen von rund 678.000 Wohnungslosen in Deutschland eintritt. Corona habe für Menschen ohne Obdach eine neue Situation geschaffen, sagt Geschäftsführerin Werena Rosenke. «Die städtischen Notunterkünfte können nicht mehr so dicht belegt werden wie vorher.» Doch gleichzeitig stünden in den Hotels die Betten leer. Rosenke verweist auf die großen Gefahren, denen Obdachlose ausgesetzt sind, wenn sie bei Eis und Schnee im Freien schlafen. In diesem Winter gab es bereits 21 Kältetote.
Eigentlich sei es Sache der Kommunen, wohnungslose Menschen in Hotelzimmern über den Winter zu bringen, sagt Rosenke. Einige große Städte wie Düsseldorf oder Frankfurt am Main haben dies bereits umgesetzt. Doch andere zögerten. So wurde in Hannover im Herbst die Unterbringung Obdachloser in einem Gästehaus erst einmal gestoppt, bis die Stadt nach heftigen Protesten im Januar ein ähnliches Projekt nachlegte. In der Zwischenzeit sprangen private Spender und Stiftungen ein, um gemeinsam mit Sozialverbänden die Anmietung von Hotels zu organisieren.
So kam Franz Bauer in Zimmer 206 des «B&D-Hotels» unter. Zwölf Quadratmeter direkt in der City, mit Dusche und Fahrstuhl. Tagsüber verkauft der gebürtige Mannheimer das Straßenmagazin «Asphalt», um sich Geld zu verdienen. Hotelbesitzer Jamil Badawi (60) ist zufrieden mit den neuen Gästen wie Bauer. Und froh, dass sein Hotel trotz der Corona-Beschränkungen nicht leersteht: «In solchen Zeiten muss man sich gegenseitig helfen.»
Sozialarbeiter Alexander Eisele (29) von der «Selbsthilfe für Wohnungslose» spricht von einer «Win-Win-Situation» für die Beteiligten: «Die Hotelbetreiber können zwar keinen großen Gewinn machen, aber es reicht, um die Kosten zu decken.» 28 Euro pro Tag bekommen sie für ein Einzelzimmer. Eisele und rund 20 weitere Kolleginnen und Kollegen stehen den Obdachlosen bei allen Problemen mit Rat und Tat zur Seite. Die Zimmer vergeben sie nach Wartelisten. Und zwar ohne Vorbedingungen, wie Jessica Bosse (27) von der Diakonie betont.
Werena Rosenke von der BAGW plädiert dafür, die Zeit der Unterbringung zu nutzen. «Man sollte nicht abwarten und die Menschen nach drei Monaten wieder auf die Straße setzen.» Sozialhilferechtliche Probleme könnten in dieser Zeit ebenso geklärt werden wie gesundheitliche Fragen. «Das geht nur, wenn die Menschen zur Ruhe kommen und nicht dem Stress der Straße ausgesetzt sind.» Auch die fälligen Impfungen zum Schutz gegen Corona ließen dann sich leichter umsetzen. «Viele Wohnungslose leiden an Vorerkrankungen.» Deshalb gehörten sie zur Priorisierungsgruppe 2.
Vor allem aber müsse alles daran gesetzt werden, um die Menschen in eine feste Wohnung zu vermitteln, betont Rosenke. Das hofft auch Franz Bauer, der sich inzwischen an zwei Stellen um eine dauerhafte Wohnung beworben hat: «Sonst würde ich ja immer wieder von vorn anfangen.»
epd niedersachen-bremen