Startseite Archiv Tagesthema vom 04. September 2017

"Mehr Himmel auf Erden"

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Die Kirchen auf dem Tag der Niedersachsen in Wolfsburg

Die kleinste Kirche Niedersachsens ist zugleich ihre schnellste: das Kirchenmobil der Kirchengemeinde Obernkirchen kommt zu Demos und Stadtfesten mit 100 Kilometer pro Stunde angepest und lädt dort Menschen zum Gespräch ein. Mit ihrem Dutzend Sitzplätzen und dem klappbaren Kirchturm fällt die Kirche im Bauwagen auf. Sie wird nur von Ehrenamtlichen betreut, die beim Tag der Niedersachsen am Wochenende in Wolfsburg vor ihrem Kirchlein einen "Bevor-ich-sterbe-Wand" aufgestellt haben. Hier schreiben Menschen an, was sie noch erleben wollen, bevor sie sterben: eine möchte sich bei denen entschuldigen, denen sie im Leben weh getan hat. Ein Kind möchte einen Hund besitzen. Viele wollen Frieden.

Dies ist eines von 15 Angeboten auf der Kirchenmeile beim Tag der Niedersachsen. Christliche Kirchen in Niedersachsen boten unter dem Motto "Mehr Himmel auf Erden" Interaktion und Information. Die örtlichen lutherischen Kirchenkreise aus den braunschweigischen und hannoverschen Kirche sind mit Pagoden dabei, wie auch die Evangelische Allianz mit Baptisten und Methodisten, die reformierte Kirche, das katholische Dekanat und sogar das Wolfsburger Abrahamforum mit Muslimen und Juden.

Besucher werden von einem grossen Heißluftballon und 15 kleinen schwebenden Ballons mit dem Motto als Aufschrift auf dem Wiese vor den Planetarium am Ende der Festmeile begrüsst. Drei Landesministerinnen ließen sich von den Bischöfen Jan Janssen aus Oldenburg und Christoph Meyns aus Braunschweig, sowie dem reformierten Kirchenpräsidenten Martin Heimbucher und dem Vizepräsidenten des Landeskirchenamtes der Hannoverschen Landeskirche Arend de Vries führen.  

Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz zeigte sich beeindruckt von 10-Gebotebildern der katholischen Künstlerin Natascha Engst-Wrede, die in Kooperation mit dem Evangelischen Bildungswerk des Kirchenkreises Wolfsburg-Wittingen ausgestellt wurden. Sie verstehe das Eltern-ehren-Gebot so, dass man erhaltene Fürsorge zurückgeben soll, so die Künstlerin. Umweltingenieur Bernhard Zahner vom Umwelt- und Klimaschutz im Haus kirchlicher Dienste der Hannoverschen Landeskirche erläuterte ihr das stark nachgefragte Projekt Artenvielfalt auf kirchlichen Friedhöfen. "Finde ich spannend, dass es so etwas gibt", so die Ministerin der Grünen.

Kultusministerin Frauke Heiligenstadt, SPD, posierte für Sprechblasen-Foto mit ihrem Spruch "Bildung verleiht Flügel" beim Stand Nachwuchswerbung für die Berufe Pastor und Diakon. Beim interreligiösem Abrahamforum zeigt sie sich erstaunt über die Beteiligung der Ditib-Moschee, sogar bei einem interreligiösem Kindergarten. De Vries meinte, auf lokaler Ebene funktioniere der interreligiöse Dialog oft weit besser, als auf höherer Ebene, ähnlich wie in der Ökumene.

Sozialministerin Cornelia Rundt, SPD, bewunderte am Stand der Friedensarbeit im Haus kirchlicher Dienste ein Kreuz, das tagsüber Schmied Michael Hirth aus dem Kanonenrohr eines Leopardpanzers geschmiedet hatte. Der Referent für Friedensarbeit Pastor Lutz Krügener erläuterte, dass die biblische Vision von Schwertern zu Pflugscharen "und sie werden verlernen, Krieg zu führen" hiermit verdeutlicht werden soll. Außerdem informierte sie sich beim Diakonischen Werk Wolfsburg e.V. und ließ sich in der mobilen Kirche von Theologiestudentin Julia Schönbeck die kleine schnelle Kirche zeigen. 

Einen ökumenischen Freiluft-Gottesdienst zum Träumen feierten 800 Christen - zudem bei traumhaft schönen Wetter - vor dem Wolfsburger Rathaus beim Tag der Niedersachsen am Sonntag. Der Braunschweiger Landesbischof Dr. Christoph Meyns rief dazu auf, sich von biblischen Träumen beschenken zu lassen und aus ihnen Kraft zu schöpfen.

Einen furiosen und ungewöhnlichen Auftakt boten die drei Gruppen der Honeybees Cheerleader. Die 50 Mädchen aus dem Wolfsburger Turnverein Jahn flogen durch die Luft und bauten unter Beifall bis zu dreistöckigen Menschenpyramiden. Der Vorfelder Propst Dr. Ulrich Lincoln nahm das in seiner Meditation über "fliegen, springen und den festen Stand" auf, zumal auch der Gottesdienst unter dem Kirchenmeilen-Motto "mehr Himmel auf Erden" stand. Sinnfällig folgte Michael Jacksons Earthsong vom Vorsfelder Gospelchor.

Landesbischof Meyns sprach über die alttestamentliche Himmelsleitergeschichte. Jakob,  "eher ein Engel mit einem B davor", sah im Traum eine Himmelsleiter, auf der Engel auf- und absteigen. Man könne durch Träume mit guten Gedanken beschenkt werden, so Meyns. Die Haltung dazu übten Christen im Gebet ein. Wenn man "passiv ist und etwas empfängt" gehe dies "ein bisschen gegen den eigenen Stolz und das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben. Aber nur so kommen wir im Grunde weiter". Aktuell würden Christen den Traum vom Frieden nicht aufgeben , "dass Menschen lernen, friedlich miteinander zu leben", so Meyns abschließend. 

Gunnar Schulz-Achelis/ HkD

Positive Bilanz

Die Veranstalter vom "Tag der Niedersachsen" haben eine positive Bilanz gezogen. Bei bestem Wetter haben an den drei Tagen insgesamt 325.000 Besucher ausgelassen gefeiert. Auf einer 1,7 Kilometer langen Festmeile stellten sich Vereine, Verbände und Organisationen aus Sport, Jugendkultur, Technik, Umwelt, Kirchen und regionaler Kultur mit rund 200 Ständen vor. Als ein Höhepunkt galt auch der Trachtenumzug am Sonntagnachmittag mit mehr als 2.200 Beteiligten.

Mit dem "Tag der Niedersachsen" feiert das Land seit 1981 seine Kultur, Geschichte und Vielfalt. Bis 2015 fand die Veranstaltung jährlich statt, seitdem nur noch alle zwei Jahre. Zum bislang letzten Landesfest in Hildesheim kamen rund 320.000 Gäste.

epd

Jacket gegen Arbeitskluft

Seit seinen jährlichen Betriebspraktika ist bekannt, dass Landessuperintendent Dieter Rathing gerne praktisch arbeitet. So hat der Regionalbischof an der Friedensfahne mitgearbeitet, die beim Tag der Niedersachsen in Wolfsburg entstand. Die Textilwerkstatt für und mit Flüchtlingen an der Woltersburger Mühle Uelzen stammt aus seinem Sprengel Lüneburg. Ein Stoffstück mit 3 hellen Quadraten hat Rathing für die Friedensfahne gefertigt. Die Stoffstücke mit verschiedenen Formen stehen symbolisch für ein friedliches Miteinander. Ist die Fahne - aus den Stoffstücken in Quilttechnik zusammengesetzt - fertig, soll sie auf Tournee durch die Landeskirche gehen und zu Gesprächen über den Frieden anregen.

Rathing zieht das Jackett aus und streift sich ein T-Shirt über. "Ich möchte Quadrate" sagt Rathing nach einem Blick ins Musterbuch. Projektkoordinatorin Barbara Niklas erklärt die Indigo-Technik, wie sie zum Beispiel in der Elfenbeinküste verbreitet ist. Die 8 bis 12 Flüchtlingen, die täglich in ihre Textilwerkstatt nach dem Sprachunterricht kommen, stammen beispielsweise aus Vietnam, Eritrea, Afghanistan und Syrien.

Nach einer Minute zieht Rathing sein Stoffstück aus dem Farbeimer und nach kurzer Zeit färbt sich die grüne Farbe in Indigo-Blau durch die Reaktion mit dem Luftsauerstoff. Der Landessuperintendent hängt sein Stoffstück auf die Leine zum Trocknen, wo bereits dutzende anderer Stücke von anderen Besucher hängen. "Wenn man Hand anlegen kann, ist es intensiver" sagt Rathing im Rückblick und fotografiert noch sein Stück, um es später in der Fahne wiederentdecken zu können.

Gunnar Schulz-Achelis/ HkD